Interessante Reise nach Russland, die nachdenklich macht

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
jessicaimreihenhaus Avatar

Von

Eine 100-jährige Architektin, die Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts mit ihren Eltern auf einem Schiff, einem sog. „Philosophenschiff“, aus Russland ins Exil gebracht wird, erzählt einem Schriftsteller ihre Lebensgeschichte.

Die Erzählweise von Anouk Perleman Jacob ist Gold. Witzig, intelligent und charismatisch. Man sieht diese 100-jährige eine Zigarette nach der anderen rauchen (irgendwann ist’s auch egal, da tut man alles, dass das Ende schneller kommt), wie sie in ihrem Sessel sitzt und redet und redet und redet.

Ich hatte manchmal Angst, den roten Faden zu verlieren und auch die Erzählerin muss sich hin und wieder bremsen um nicht weiter abzuschweifen. Worauf die Geschichte hinaus will, erfahren wir tatsächlich erst ganz zum Schluss und auch wenn es im Nachhinein betrachtet ein sehr cleveres Ende ist, so habe ich einfach nicht damit gerechnet, dass die Geschichte diese Wendung einschlägt.
Manche Ideen und Personen, wie die der Alice und auch, dass der Schriftsteller (der sich als Köhlmeier selbst outet) neben der Erzählung von Frau Perleman Jacob auch noch weitere Recherchen anstellt, hätte ich mir weiter ausgearbeitet gewünscht. Für mich zunächst vergebenes Potential, da sich hier zwei gute Spannungsfelder hätte entwickeln können. Aber nun ist man am Ende, wie so häufig im Leben, schlauer, was mich dazu verleitet zu denken, dass es gar nicht um das ging, was ich bis zuletzt erwartet habe, sondern es hier keine umfassende Auflösung gibt.

Ob Köhlmeier uns mit der Geschichte noch mehr erzählen wollte? Kann oder muss sogar die Erzählung auf die gegenwärtige Situation in Russland übertragen werden? Das muss wohl jeder nach der Lektüre für selbst sich beantworten. Ich fand die Reise auf dem Philosophenschiff sehr spannend und möchte sie allen empfehlen, die gerne undurchsichtige Geschichten lesen, die einen rätselnd und nachdenklich zurück lassen.