Mann an Deck

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
kainundabel Avatar

Von

Sein Name: Wladimir Iljitsch, besser bekannt als Lenin. Revolutionär. Jetzt nur mehr ein Häufchen Elend, isoliert, krank, hilflos, im Rollstuhl – und das ausgerechnet auf dem „Philosophenschiff“, das der Fantasie seines eigenen Gehirns entsprungen ist. Dem Gehirn, das Wissenschaftler in Scheiben schneiden werden, um seiner vermeintlichen Genialität auf die Spur zu kommen. Nach seinem Tod natürlich. Und der ist nicht mehr weit.
Michael Köhlmeier lässt die junge Anouk auf diesem Schiff mit ihrem „Freund“ Lenin zusammentreffen, der eigentlich ihr Feind ist. Sie gehört mit ihrer Familie zu der Handvoll Passagiere, die das Regime außer Landes schaffen will – gnädigerweise, denn mit anderen tatsächlichen oder vermeintlichen Widersachern macht der Diktator kurzen Prozess.
Das Hauptaugenmerk ist aber auf die Gegenwart gerichtet, in der die nunmehr hundertjährige Architektin Anouk Perleman-Jacob ihre bewegte Lebensgeschichte erzählt. Hierbei verwebt der Autor geschickt historisch Belegtes mit fiktionalen Begebenheiten und Personen. Nur gelegentlich streut er eigene biografische Episoden ein, sofern sie in Bezug zur Thematik stehen. Was Köhlmeier als Urheber mit seinem persönlichen gekonnten Sprachstil wiedergibt, weiß er überzeugend als Originalton der überwiegend monologisierenden Protagonistin klingen zu lassen. So entsteht im Zusammentreffen von Realität und Fiktion, von Revolution und Tradition ein facettenreiches Bild von detailliert historischen Fakten und – weitaus mehr noch – sehr persönlichen Schicksalen, Dramen, Emotionen, Hoffnungen, Sehnsüchten und Enttäuschungen. Diese Mischung macht den Roman nicht nur zu einem Erkenntnisgewinn, sondern auch zur empfehlenswerten Lektüre, ganz in der Tradition seines Erfolgs "Zwei Herren am Strand".