Schwierige Geschichtsstunde

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aischa Avatar

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"Ich habe mich über Sie erkundigt. Sie haben einen guten Ruf als Schriftsteller, aber auch einen etwas windigen. Ich weiß, dass Sie Dinge erfinden und dann behaupten, sie seien wahr. Jeder wisse das, hat man mir gesagt, aber immer wieder gelinge es Ihnen, Ihre Leser und Zuhörer hinters Licht zu führen. Deshalb glaube man Ihnen oftmals nicht, wenn Sie die Wahrheit schreiben, und glaube Ihnen, wenn Sie schummeln."

So lässt Michael Köhlmeier gleich im ersten Kapitel seines neuen Romans die hochbetagte Protagonistin begründen, weshalb sie eben diesen Schriftsteller dazu auserkoren hat, ihre Geschichte niederzuschreiben. Zwar gebe es bereits Biografien über sie - eine berühmte jüdische Architektin, aber darin stehe eben nicht alles über ihr Leben.

Diese Rahmenhandlung hat den für Köhlmeier so typischen Charme, er sprüht vor Witz, hier glänzt er als Erzähler. Und indem er den Schriftsteller in seiner Geschichte Michael nennt, kokettiert er auf sympathische Weise mit den Assoziationen seiner Leserschaft, die förmlich dazu aufgerufen nach weiteren Parallelen zwischen der Romanfigur und ihrem Schöpfer suchen wird.

Das war es aber leider schon, was ich an Lobenswerten benennen kann. Denn die Binnenerzählung krankt leider an Vielem, das eine gute Geschichte ausmacht. Die Sprache ist recht einfach, kurze, oft abgehackt wirkende Sätze dominieren die Erzählung der Architektin. Mag sein, dass eine Hundertjährige so spricht, wenn sie sich an sich als Vierzehnjährige erinnert. Aber dieser Stil ermüdete mich schnell.

Der Inhalt an sich bietet reichlich Stoff für Spannung, denn die sogenannten Philosophenschiffe gab es wirklich. Auf ihnen ließ Lenin nach der bolschewikischen Revolution politische Gegner deportieren, vor allem Intellektuelle. Das alltägliche Grauen des Sowjetregimes wird spürbar, die über Allem schwebende Angst vor Denunziation, die abgrundtiefe Verunsicherung aufgrund dessen, Niemandem vertrauen zu können.

Aber bedauerlicherweise konnte ich der Lebensgeschichte der Protagonistin - und somit fast dem kompletten Roman - nur in Bruchteilen folgen. Zu gering sind meine Kenntnisse der russischen Revolution, und es war mir zu mühsam, alle paar Sätze wieder etwas zu recherchieren und nachzulesen. Des Weiteren war ich auch mit der Fülle an russischen Namen überfordert. Ironischerweise war diese Möglichkeit Köhlmeier offenbar bewusst, lässt er doch sein Alter Ego an einer Stelle bemerken: "... ich wiederhole Namen, öffentliche Funktionen und Taten von Personen - ich tue es, weil ich weiß, dass deutsche Leser sich russische Namen schlecht merken und die Gefahr besteht, dass sie in Verwirrung geraten ..." Nun, leider war genau dies bei mir der Fall, ich bin immer noch verwirrt.