Märchenhaftes Meisterwerk

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Wohl kaum jemand kann die eisige, unwirtliche und doch wunderschöne Landschaft Alaskas so detailliert und stimmungsvoll beschreiben, ohne selbst dort zu leben. Autorin Eowyn Ivey nutzt diese Gegebenheit, um die Leser mit ihrem Erstlingswerk "Das Schneemädchen" literarisch geradezu zu verzaubern. Ihre wundervoll-märchenhafte Geschichte, kunstvoll in Romanform verpackt, behandelt zwei Aspekte, die eigentlich gegensätzlicher nicht sein könnten - und sich offensichtlich doch nicht ausschließen: Der harte (Über-)Lebenskampf eines jungen, durch einen Schicksalsschlag kinderlos gebliebenen Ehepaares in der kargen, rauen Schneelandschaft Alaskas steht dabei der ebenso unerwarteten wie geheimnisvollen Erscheinung eines kleinen Mädchens gegenüber. Angesichts der liebevollen Schilderung könnte das grazile, scheue Wesen geradezu dem Märchenbuch der Gebrüder Grimm entsprungen sein. Und das zierliche Persönchen bringt die Leser noch in vielerlei Hinsicht zum Staunen: Während es selbst so hilfsbedürftig wirkt, nimmt es keinerlei Unterstützung in Anspruch, sondern leistet vielmehr den Erwachsenen Beistand: Auf stille aber effektive Weise führt es den Mann zu einem Jagdrevier und sorgt damit dafür, dass er und seine Frau in den kommenden Wochen und Monaten keinen Hunger leiden müssen. Durch die einfühlsame Schilderung einer möglichen (Hungers-)Not des Ehepaares im bevorstehenden Winter lässt das (durchaus blutige) Erlegen eines Elches beim Leser keineswegs den Gedanken an ein sinnloses Gemetzel aufkommen. Vielmehr gehört das Töten um des Überlebens willen hier zum Bestandteil des Lebens in, mit und von der Natur. Dabei charakterisiert sich der beschriebene Kulturkreis im Hinblick auf die Notwendigkeit des Tötens durch gründliche vorherige Überlegungen (bis hin zu Zweifeln!) wie auch durch sorgsamen Umgang mit dem toten Tier als Lebensmittel und durch das Ablehnen jeglicher Verschwendung. Ehrfurcht vor der Natur und ihren Geschöpfen: Diese traumhaft verpackte Lehre (ohne erhobenen Zeigefinger), die sich die Menschen weltweit zu Herzen nehmen sollten, ziehe ich neben vielen weiteren rührenden Aspekten aus dieser Geschichte. Allein dieser Blickwinkel hat neben den wundervollen landschaftlichen Schilderungen einer ver- und bezaubernden Welt aus Eis und Schnee, den tiefsinnigen menschlichen Charakterstudien und der märchenhaften und zugleich realistischen Handlung schon die volle Punktzahl verdient. Menschen-, Kultur- und Landeskunde auf märchenhafte Art - GRANDIOS!