Zwischen Schein und Sein

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marialein Avatar

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Beim Lesen des Schneemädchens war mir anfangs gar nichts bewusst, dass es auf einem tatsächlichen russischen Märchen beruht. Im Nachhinein finde ich, dass die Umsetzung sehr gelungen ist: Die Handlung des Romans ist gerade dicht genug an der Realität, dass eine eigenständige, glaubwürdige und moderne Geschichte entsteht, und orientiert sich gleichzeitig genug am „Original“, dass der Leser in diese Fantasiewelt eintauchen kann.

Wie im Märchen des Schneemädchens, das der Geschichte zugrunde liegt, baut ein älteres, kinderloses Paar ein kleines Mädchen aus Schnee, das dann lebendig und zu einer Art Tochter für die beiden wird. Winter für Winter kehrt Faina, so heißt das junge Mädchen, zu ihrer neuen Familie zurück und verschwindet ebenso wieder, wenn der Frühling kommt. Die Frau, Maud, wird sich der Parallelen bewusst und lebt in ständiger Angst vor dem traurigen Ende, das das Märchen in all seinen verschiedenen Versionen erzählt. Jack hingegen ist überzeugt von der menschlichen Natur des Mädchens – ein Widerspruch, der sich durch den ganzen Roman zieht.

Besonders hat mir gefallen, dass die Geschichte, und vor allem die Figur der Faina, durchweg mysteriös bleiben. Auch, wenn immer wieder deutlich wird, dass das Mädchen ein Mensch aus Fleisch und Blut zu sein scheint, bleibt doch die Überzeugung, dass mehr dahinter steckt. Das macht den Roman bis zur letzten Seite spannend und hat dafür gesorgt, dass ich das recht dicke Buch doch sehr schnell ausgelesen habe.

Trotz allen Mysteriums hat mir aber auch die „reale“ Seite des Romans sehr gut gefallen. Die Gefühle der Charaktere, die Eindrücke der Natur, der harten Arbeit und die zwischenmenschlichen Beziehungen haben mich sehr überzeugt. Die Winterlandschaften waren so eindrücklich beschrieben, dass ich den Schnee und die wilden Tiere praktisch vor mir sehen konnte. Damit passt das Buch auch geradezu perfekt in diese kälter und dunkler werdende Jahreszeit. Aber auch sonst bietet es einen wunderbaren Ausbruch aus dem Alltag in eine Fantasiewelt, in der alles mehrere Seiten hat und nicht immer so irdisch und verständlich ist, wie es scheint.