Altlasten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
leukam Avatar

Von



Susanne Tägder, 1968 in Heidelberg geboren, ist Juristin und war Richterin am Sozialgericht in Karlsruhe, und hat nun mit „ Das Schweigen des Wassers“ ihren ersten Kriminalroman vorgelegt. Inspiriert wurde sie dazu durch eine Zeitungsreportage, in dem es um einen Fall aus DDR-Zeiten ging, der kurz nach der Wende wieder aufgerollt wurde.

Die Geschichte setzt ein im Herbst 1991 in der fiktiven Stadt Wechtershagen in Mecklenburg - Vorpommern. Von hier ging Arno Groth 1960 in den Westen und hierher wird er als Hauptkommissar von seiner früheren Dienststelle in Hamburg geschickt. Abgeschoben fühlt er sich, als „ Altlast“ nach einem beruflichen Fehler. Nun soll er hier als Aufbauhelfer Ost seine neuen Kollegen in westdeutscher Polizeiarbeit schulen. Keine leichte Aufgabe, denn diese begegnen ihm mit Vorsicht und Misstrauen.
Da wird er eines Tages auf dem Parkplatz der Polizeiwache von einem heruntergekommenen Mann angesprochen, ein Alkoholiker, wie es scheint. Der fühlt sich verfolgt und wolle nochmal wiederkommen, dieses Mal mit Beweisen. Während Groth noch überlegt, wie glaubwürdig diese Behauptung sei ( „ Jemand ist hinter mir her. Gilt das nicht für uns alle? denkt Groth. Wer wird denn nicht von etwas verfolgt, und wenn es nur die eigenen Fehler sind.“) und ob er der Sache nachgehen muss, da wird eine Leiche am Seeufer gefunden. Als Groth am Fundort eintrifft, stellt sich heraus, dass es sich bei dem Toten im Wasser um genau jenen Mann handelt. Der Bootsverleiher und Musiker Siegmar Eck. Für die Polizei vor Ort kein Unbekannter. War er doch in einem aufsehenerregenden Mordfall elf Jahre zuvor als Hauptverdächtiger festgenommen und verhört worden. Damals wurde die Polizistentochter Jutta Timm vergewaltigt und ermordet aufgefunden. Doch Eck kam wieder auf freien Fuß ; er hatte ein hieb- und stichfestes Alibi. Allerdings hat man danach das Verfahren eingestellt ; der Mörder der jungen Frau wurde nie gefasst.
Auch im aktuellen Fall versucht die Polizei die Sache schnell zu den Akten zu legen. Kein Verdacht auf Fremdeinwirkung; Eck scheint betrunken ins Wasser gefallen zu sein.
Doch Groth lässt das Ganze keine Ruhe. Seinem Gefühl nach stimmt hier etwas nicht. Er vermutet einen Zusammenhang zu dem alten ungelösten Fall und beginnt zu ermitteln, gegen den Befehl seiner Vorgesetzten.
Susanne Tägder entwickelt ihre Geschichte ruhig und mit viel Gespür für Details. Dabei fängt sie sehr gut die Atmosphäre dieser Umbruchszeit ein. Die DDR ist Geschichte, doch in den Köpfen ihrer früheren Bewohner steckt sie noch fest. Sie spüren die Verluste und fürchten sich vor dem Neuen. Auch die alten Seilschaften funktionieren nach wie vor.
Erzählt wird aus zwei Perspektiven. Neben dem melancholischen Ermittler Groth ist Regine Schadow die zweite Hauptfigur. Ihre tatsächliche Rolle wird erst im Verlaufe der Handlung klar. Warum hat sie ihren guten Job im Kempinski in Berlin aufgegeben, um nun in einem drittklassigen Ausflugslokal in Wechtershagen als Kellnerin zu arbeiten? Will sie tatsächlich nur die Wohnung ihrer Großmutter aufräumen, wie sie sagt, oder verfolgt sie ganz andere Pläne? Wie stand sie zu dem ermordeten Siegmar Eck?
Neben der Krimihandlung, bei der es um zwei zusammenhängende Verbrechen geht, überzeugt die Autorin vor allem mit ihrer Figurenzeichnung. Es sind beinahe alles Versehrte, die uns im Roman begegnen. Groth mit seiner grüblerischen Art und seinen Selbstzweifeln ist eine interessante Figur. Ein Kommissar mit einer Liebe zur Literatur, ein Mann, der mit Verlusten klarkommen musste - seine Ehe ist schon lange geschieden, seine Tochter gestorben - bringt allein schon deshalb viel Verständnis auf für diejenigen auf der Opferseite. Und auch Regine hat, trotz ihrer Jugend, schon viele traurige Erfahrungen machen müssen. Aber auch die Nebenfiguren werden vielschichtig gezeichnet, so z.B. der eher verschlossene Kollege mit fragwürdiger Vergangenheit, der Groth bei seinen Ermittlungen unterstützt oder der schweigsame und gebrochene Vater von Eck. All diesen Personen begegnet die Autorin mit viel psychologischem Einfühlungsvermögen und Empathie.
Susanne Tägder schreibt im Präsens. Das wirkt unmittelbarer und verstärkt den filmischen Effekt. Dabei bedient sie sich einer präzisen, z.T. lakonischen Sprache und zeigt gerade in den Dialogen ihr ganzes Können.
Der Autorin ist mit „ Das Schweigen des Wassers“ ein atmosphärisch dichter und fesselnder literarischer Krimi gelungen. Gleichzeitig ist der Roman ein stimmig gezeichnetes Porträt jener Umbruchjahre. Es ist zu hoffen, dass Susanne Tägder weitere Fälle mit dem sympathischen Ermittler folgen lässt.