Nicht nur das Wasser schweigt

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Susanne Tägder war Richterin in Karlsruhe. Sie ist nicht die erste Juristin, die zur Autorin mutiert, aber sie tut es auf wunderbare Weise und mit einem sehr eindringlichen, spannenden Timbre. Dem Roman diente ein realer Mordfall aus dem Jahr 1979 als Inspiration.

Hauptkommissar Groth aus Hamburg wurde als Aufbauhelfer Ost nach Wechtershagen in Neubrandenburg versetzt. Dort ist er aufgewachsen, kurz vor dem Mauerbau siedelte er jedoch in den Westen über. Am neuen Arbeitsplatz betrachtet man den Kollegen mit großer Skepsis. Im Herbst 1991 wird nun die Leiche des Musikers Siegmar Eck aus dem nahe gelegenen Wechtsee gezogen. Im Umfeld des Opfers wird ermittelt. Während Groths Kollegen schnell von einem Unfall in Folge von übermäßigem Alkoholkonsum ausgehen, wird Groth stutzig, als er mehr über Ecks Leben erfährt. Eck war nämlich im Jahr 1980 Hauptverdächtiger im Mordfall der 19-jährigen Jutta Timm, der Tochter eines Volkspolizisten. Eck hatte damals ein Geständnis abgelegt, es anschließend widerrufen - am Ende wurde er freigesprochen. Gibt es eine Verbindung zwischen den beiden Fällen? Groth lässt dieser Gedanke nicht los, auch wenn er spürt, dass es unerwünscht ist, in alten DDR-Akten nachzuforschen.

Die Ermittlung vollzieht sich langsam, die Informationen entfalten sich erst nach und nach. Immer mehr interessante Figuren betreten die Bühne. Die meisten von ihnen wirken auf irgendeine Art versehrt, was ihnen Komplexität und Tiefe verleiht. Die Autorin lässt sie uns in ihrem Lebensumfeld kennenlernen. So ist die Zeugin Regine Schadow nicht nur eine Kellnerin im Seerestaurant, sonders sie hat auch ein Leben in Berlin zurückgelassen, eine pflegebedürftige Großmutter und ein an ihr zehrendes persönliches Geheimnis. Groth selbst hat seine Tochter Saskia verloren, wodurch er weiß, wie sich Verlust anfühlt. Es wirkt keinesfalls rührselig oder konstruiert, wenn er sich mit Saskia in vertraute Zwiegespräche begibt. Groth erweckt den Anschein eines verletzten, einsamen Wolfes, der sich der Wahrheitsfindung verpflichtet sieht. Er ist literaturaffin, sein Zugang zur Poesie und den Werken Kafkas hat seine Fähigkeit, hinter die Fassaden zu blicken oder auf das Ungesagte zu lauschen, sehr geschult.

Ebenso sorgfältig wie die Figurenzeichnung gelingt der Autorin die Darstellung der Schauplätze zu den unterschiedlichen Zeiten. Man muss vor Augen haben, dass Siegmar Eck im Jahr 1980 möglicherweise keinen fairen Prozess erhielt. Trotz Freispruch war er fortan ein gebrochener Mann, der sein Leben nie wieder richtig in den Griff bekommen hat. An verschiedenen Stellen des Romans wird deutlich, was es heißt, in die Mühlen eines skrupellosen Regimes zu geraten und wie gefährlich es sein kann, an dieser Vergangenheit zu rühren. Offenbar wurde im Fall Jutta Timm nach dem Prozess gegen Eck nicht weiter ermittelt. Was bedeutet das für die Familie des Opfers? Es sind vielfältige Ebenen, die in unterschiedlichen Szenen beleuchtet werden und die Qualität des Romans ausmachen.

Faszinierend ist auch die Darstellung des Umbruchs in den neuen Bundesländern, der mit vielen Unsicherheiten und Ungerechtigkeiten einhergeht. Die Menschen fühlen sich abgehängt, verlieren von einem Tag zum anderen ihre Arbeit, werden von im Kapitalismus kundigen Westlern laufend übervorteilt. Entsprechend schlägt der Argwohn dem aus Hamburg versetzten Groth entgegen, der wiederum mit dem Blick von außen die Verstrickungen zu erkennen glaubt (schließlich ist er in Wechtershagen aufgewachsen). Die Diktatur hallt sowohl in den Köpfen der Menschen als auch in den Büroräumen der Behörde nach.

Es wird viel geschwiegen in diesem Roman. Dennoch fesselt die ruhige, eindringliche Sprache von Beginn an. Immer wieder legt die Autorin ihren Figuren Sätze in den Mund, die zum Nachdenken anregen und die Bedingungen dieser Nachwendezeit verdeutlichen. Die verschiedenartigen Verwundungen des Figurenpersonals sorgen für latente Melancholie, der ich mich nicht entziehen konnte. Ich betrachte „Das Schweigen des Wassers“ als gelungenen literarischen Kriminalroman, der auch anspruchsvolle Leser begeistern sollte.

Mit Groth hat die Autorin einen zurückhaltenden, sympathisch-aufrichtigen Ermittler geschaffen. Ich möchte aus dem Ende herauslesen, dass es eine Fortsetzung dieses großartigen Debüts geben wird.
Große Lese-Empfehlung!