Schatten der (DDR-)Vergangenheit

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Dieses Krimi-Debüt von Susanne Tägder nimmt uns in den fiktiven Ort Wechtershagen, in die ehemals ostdeutsche Mecklenburgische Provinz mit. Man schreibt das Jahr 1991 und nach der ersten Euphorie um die deutsche Wiedervereinigung, müssen die ehemals ostdeutschen Strukturen dem Westen angepasst werden. Das betrifft unter anderem und im Besonderen die Polizei. Dazu werden Polizeibeamte in den Osten entsandt. Einer davon ist KHK Arno Groth, der seinerzeit kurz vor dem Mauerbau aus eben jenem Wechtershagen nach Hamburg gelangt ist. Groth soll, nachdem er seinen letzten Fall ziemlich vergeigt hat, nun die Polizei im Osten auf westlichen Standard bringen. Das führt natürlich zu Reibereien unter den Kollegen.

Gleich nach seiner Ankunft wird Siegen Eck, ein Mitarbeiter des örtlichen Bootsverleihs, tot aufgefunden. Während die örtliche Polizei den Fall gleich als Unfall abschließen möchte, ist Eck doch als schwerer Alkoholiker bekannt, kommen bei Groth Zweifel an der Unfallversion auf. Er findet schnell heraus, dass der Tote vor zehn Jahren Beschuldigter im Mordfall Jutta Timm gewesen, aber vom Gericht freigesprochen worden. Und was hat die Bedienung in der Kneipe mit Eck zu tun?

Arno Groth beginnt zu recherchieren und findet kaum Unterlagen. Es sieht so aus, als ob jemand Akten verschwinden hat lassen. Auch die Kollegen verhalten sich alles andere als kooperativ. Bis auf einen, der vermutet wegen seiner Vergangenheit in der DDR auf einer der zahlreichen Abschusslisten zu stehen. Heimlich beginnen die beiden den alten Mordfall Jutta Timm neu aufzurollen. Dabei stoßen sie auf Geheimnisse, die lieber unentdeckt geblieben worden wären. Dennoch ist, wie man so schön sagt, dem Vorgesetzten „die Suppe für eine echte Wiederaufnahme der Ermittlungen zu dünn“.

Meine Meinung:

Dieser Krimi wird als „literarischer Krimi“ beworben und mit einigen Vorschusslorbeeren bedacht. Für eingefleischte Krimi-Fans, die es gerne zackig haben, wird dieser Krimi wohl nicht die erste Wahl sein. Denn hier wird großes Augenmerk auf die Zeit und die Umstände sowie auf die handelnden Personen gelegt. So ist die Beschreibung von KHK Arno Groth ziemlich ausführlich, auch wenn wir nur häppchenweise Informationen über sein Leben bekommen. Und hier kommt die Literatur ins Spiel: Groth liest Franz Kafka, vor allem sein Werk „Ein Hungerkünstler“, das gerade in Wechtershagen aufgeführt wird, spielt in Grothes Gedanken eine Rolle.

Als Österreicherin kann ich mich schwer in die Zeit kurz nach der Wiedervereinigung von BRD und DDR hineinversetzen. Doch die, der anfänglichen Euphorie folgende Enttäuschung, ist für mich deutlich spürbar. Die Polizisten der ehemaligen DDR haben das Ermitteln ja auch gelernt und wollen sich naturgemäß nicht ins Handwerk pfuschen und von einem besserwissenden Wessi erklären lassen. Dass zu DDR-Zeiten bei Geständnissen ein wenig nachgeholfen worden ist, ist ein offenes Geheimnis, über das niemand spricht. Nach wie vor hat man vor den Stasi-Agenten Angst. Nach wie vor weiß man nicht, wer was über wen berichtet hat. Das ganze Ausmaß der staatlichen Bespitzelung wird erst in den folgenden Jahren publik.

Der Krimi gibt die Stimmung sehr gut wieder, die hier in der eingeschworenen Dorfgemeinschaft herrscht. Die Grundtendenz ist trist, grau wie das Wetter in diesen Herbst. und Wintertagen. Die alte Ordnung ist noch nicht ganz weg und die neue hat noch nicht den Weg in die Köpfe der Menschen gefunden. Ob es eine Fortsetzung geben wird?

Fazit:

Diesem Krimi-Debüt, das tiefgründig und politisch sowie spannend ist, gebe ich gerne 4 Sterne. Wer lieber mehr „Action“ haben will, muss zu einem anderen Titel greifen.