Das Geschäft mit Träumen und Lügen

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Hamburg, 1911. Ava hat den Wunsch, ihre Familie in Amerika zu finden. Die Zeit der Cholera hatte auch im Alten Land, wo die Eltern einen Hof bewirtschafteten, Auswirkungen. Vater und Schwester überlebten die Epidemie nicht und die Spur der Mutter verläuft sich auf einen der vielen Segler, die nach New York abgelegt haben. Der Onkel schrieb in seinen Briefen von einem besseren Leben in der Neuen Welt. Mit dieser Motivation spart sie alles, was in der Auswandererstadt verdient und nicht zum Überleben braucht, um sich eine Fahrkarte zu kaufen.

Claire leistet ebenfalls Stunden in der Auswandererstadt. Die Tochter aus gutem Hause hat es eigentlich nicht nötig zu arbeiten, aber als ärztliche Verordnung soll sie sich sozial betätigen. Es prallen Welten aufeinander, weil die ichbezogene, verwöhnte und anstrengende junge Frau sich nicht unterordnen will. Quint Morris hat Mühe, sie in den Schichten so einzuteilen, dass es nirgends Streit gibt. Die beiden trafen sich bereits einmal bei einem gesellschaftlichen Anlass. Um den jungen Mann rankt sich offensichtlich ein Geheimnis. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass er der Bruder des zugänglichen Fotografen sein soll, der in der Stadt der Hoffnung Werbefotos machen soll.

Miriam Georg beginnt mit Das Tor zur Welt einen weiteren Zweiteiler, der die Zeit der Jahrhundertwende in Hamburg beschreibt. Man spürte bereits den Fortschritt und die Menschen überquerten immer häufiger den Ozean, um ein neues Land zu erreichen. Die Auswandererwelle war für Reedereien und findige Geschäftsleute eine Quelle für Reichtum. In diesem Roman handelt es sich vor allem um die neuartige Idee von Albert Ballin, nach der überwundenen Choleraepidemie, die Reisenden vor den Toren der Stadt zu sammeln und doch schnell auf die Schiffe zu verteilen. Das heutige Auswanderermuseum zeugt noch davon. Vor dieser Kulisse agieren die fiktiven Figuren, die stellvertretend für ihre realen Pendants einen Einblick in die tägliche Organisation geben.

Bildhafte Szenen von den Auswanderern
Die Figuren wurden sorgsam platziert. Ava bildet eine Frau aus ärmlichen Verhältnissen ab, die täglich für ihren Lebensunterhalt sorgt. Sie hat offenbar nur den Wunsch, diese Armut zu verlassen und gemeinsam mit ihrer Familie zusammen zu sein. Den Kontrast bildet Claire, die sich um nichts kümmern muss, sondern nur fordert. Die Zeit ändert sich mit der Industrialisierung immer rasanter, sodass auch ihre Familie sich anpassen muss. Nach dem Tod des Vaters versucht ihre Mutter so gut es geht, den Schein zu wahren. Ebenfalls aus einer wohlhabenden Familie kommen die Brüder Wilhelm und Quint. Sie nutzen ihre Positionen in der Gesellschaft komplett unterschiedlich. Während sich Wilhelm der Fotografie widmet, hat sein Bruder die Finger immer in halbseidenen Geschäften verwickelt. Zu diesen Geschäften gehört auch Magnus, der Schwarm von Claire, der ihre Freundin als Ehefrau vorzog. Nun ist die Riege komplett und es entwickelt sich nicht nur ein Gesellschaftsporträt, sondern eine spannende Handlung, die auch in einem Krimi Platz finden würde.

Die Geschichte ist eingängig. Man hat sofort eine Vorstellung von den Orten und kann die Handlung der Figuren nachvollziehen. Der in vier Teilen gegliederte Roman lässt abwechselnd Ava und Claire zu Wort kommen. Ein weiterer Handlungsstrang wird von einer Überfahrt erzählt. Die Ich-Erzählerin berichtet von der Enge im Zwischendeck, von den Krankheiten und den lauernden Gefahren auf hoher See. Die zugrundeliegende Recherche wirkt, als sei man selbst dabei. Gerade zum Ende nimmt die Geschichte ein hohes Tempo auf. Ungeduldige Leser müssen aber nur noch bis Oktober 2022 warten, bis sie Antwort auf die offenen Fragen bekommen können. Das Tor zur Welt – Träume wird mit Das Tor zur Welt – Hoffnung fortgesetzt. Meiner Meinung geht eins nicht ohne das andere.