Grandioser Auftakt

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marialein Avatar

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Hamburg, 1911. In der Auswandererstadt kommen alle Menschen zusammen, die von Hamburg aus in der Hoffnung auf ein besseres Leben den alten Kontinent verlassen und sich eine Zukunft in Amerika aufbauen wollen. Tausende größtenteils arme Menschen werden hier untergebracht, bevor sie ihr Schiff besteigen und in ein neues Leben aufbrechen können.

Hier begegnen sich Ava und Claire. Ava wurde von ihrer Familie verlassen, die nach Amerika ausgewandert ist und sie dann nachholen wollte. Sie war als kleines Mädchen auf einem Bauernhof im alten Land untergekommen, wo sie schon früh anfing bis zur Erschöpfung zu arbeiten. Als sie ihre Ersatzfamilie verlor, suchte sie sich Arbeit in Hamburg. Von ihrem hart erarbeiteten Geld gibt sie nur das Allernötigste aus, um genug für die Fahrt nach Amerika – zu ihrer Familie – zu sparen. Um auch ja keinen Hunger zu leiden, erträgt sie jede Ungerechtigkeit (fast) ohne Widerworte.

Ganz anders als Claire. Sie ist schön, wohlhabend und nimmt sich vom Leben, was sie will. Alles, außer dem reichen Reedersohn Magnus, der statt Claire ihre Freundin heiratet. Doch letztlich schlittert Claire immer weiter in eine äußerst missliche Lage und muss wohl oder übel lernen, auf eigenen Füßen zu stehen und ihr Ego auch mal hintanzustellen.

So unterschiedlich die beiden jungen Frauen auch sein mögen, freunden sie sich doch bald an. Sie vertrauen sich gegenseitig ihre dunkelsten Geheimnisse an und verstehen einander blind, bis Claire Ava fürchterlich hintergeht und ihr ganzes Schicksal auf eine Karte setzt…

Die Erzählung ist reich an Emotionen und komplizierten Verstrickungen, die die Autorin sehr geschickt verflochten hat. Vom ersten Satz an ist der Leser mitten in dem Setting und in dem Kopf der einzelnen Personen, aus deren Perspektive hier erzählt wird. Der Erzählstil ist so fesselnd, dass man sich in beide Hauptprotagonistinnen, so unterschiedlich sie auch sind, sehr gut hineinversetzen kann. Als die Erzählung mit der Schilderung von Claires Schicksal beginnt, dachte ich zwar zuerst, dass ich mit dieser verwöhnten Zicke niemals warm werden würde – aber tatsächlich wurde ich sehr schnell eines Besseren belehrt. Beide Frauen sind einzigartig und auf ihre Weise liebenswürdig, und wie sie von der damaligen Zeit und den äußeren Umständen geprägt werden, wird sehr eindrücklich beschrieben.

Überhaupt finde ich die Darstellung, wie unterschiedlich sich die Menschen ihren Lebensumständen entsprechend entwickeln und anpassen, sehr gelungen. Man kann die Unterschiede sehr gut nachvollziehen, ohne dass es jemals zu demonstrativ wirkt.

Wer spannende Unterhaltung mit viel Emotion und einem eindrucksvoll gezeichneten historischen Hintergrund sucht, wird am ersten Teil von „Das Tor zur Welt“ sicher seine Freude haben. Ich auf meiner Seite freue mich schon sehr auf den zweiten Teil und habe auch auf jeden Fall vor, die beiden anderen, ähnlich gearteten Romane der Autorin kennen zu lernen. Insofern war ich auch nicht allzu traurig, als die über sechshundert Seiten dann doch vorbei waren.