Spekulativer Roman über verkanntes Genie

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singstar72 Avatar

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Marie Benedict, wie freute ich mich auf ein neuerliches Buch von ihr! Starken Frauen ein Denkmal zu setzen, das ist ihre Mission. In diesem Fall, der Geschichte der heute nahezu unbekannten Wissenschaftlerin Rosalind Franklin, war ihre Aufgabe schwieriger als sonst. Über Franklins Charakter haben wir denkbar dünnes Material, alles, was wirklich von ihr blieb, sind ihre wissenschaftlichen Aufsätze. Dennoch hat die Autorin es geschafft, ein - mögliches - Porträt zu zeichnen, das aber aufgrund der dünnen Ausgangslage in weiten Teilen spekulativ bleiben musste.

Rosalind Franklin war Biophysikerin, wenn ich das richtig verstanden habe, und hat mittels Röntgenstrahlen an den Strukturen von Viren und genetischem Material gearbeitet. Ihre Arbeit diente zur unmittelbaren Vorlage der Entdeckung der Helix-Struktur der menschlichen DNA. Dass sie die Anerkennung dafür nicht bekam, lag an zeitlichen und gesellschaftlichen Umständen. Marie Benedict webt daraus eine Geschichte: eine Frau in einer Männerwelt, umgeben von akademischen Zwängen, finanziellen Nöten und romantischer Enttäuschung.

Den Tonfall und Schreibstil Benedicts erkennt man sofort wieder, er ist lebendig, und bezieht die Emotionen der Menschen mit ein. In diesem Fall schwierig: wie die Emotionen Rosalinds wirklich waren, wissen wir nicht; es gibt Bücher und Veröffentlichungen über sie, die sich jedoch ausnahmslos widersprechen, wie der Leser im Nachwort erfährt. Benedict blieb also nichts anderes übrig, als zu raten, und einen zumindest wahrscheinlichen Verlauf zu erfinden. Rosalinds Wechsel von Institut zu Institut hängen also auch mit amourösen Verwicklungen zusammen, und mit wissenschaftspolitischen Entscheidungen. Die Männer finden sie hochnäsig, verleihen ihr beleidigende Spitznamen. Immer wieder wird berichtet, andere fänden sie "schwierig" - wohingegen sie wohl auch ein Teammensch war, Wanderungen organisiert hat, und mehrere Freundschaften über Jahrzehnte hielten.

Um die Geschichte unmittelbarer zu machen, lässt Benedict Rosalind in der Ich-Form auftreten, was sich beinahe wie ein Tagebuch liest. Es werden wichtige Stationen nachgezeichnet, und an strategischen Punkten wird gerafft. So erhalten wir ein Panorama von 1947 bis 1958. Neu für Benedict war sicherlich auch der wissenschaftliche Anteil. Sie hat sich bemüht, den Forschungshintergrund Franklins dem Leser verständlich zu machen - was eben bei den Büchern über Agatha Christie oder Hedy Lamarr nicht nötig war. Die Autorin schlägt sich achtbar, und weckt sogar ansatzweise Bewunderung für die Härte des wissenschaftlichen Betriebs, die kleinteilige Arbeitsweise, die Versessenheit auf Details und Wiederholung.

Eventuelle Kritikpunkte am Buch gibt es ein paar wenige. So ist die Ausdrucksweise der Handlung in Paris doch etwas repetitiv; ein wenig zu oft wurden die Begriffe "chercheurs" und "labo" ( für "laboratoire") verwendet. Und ob sich die unglückliche Liebesgeschichte wirklich so abgespielt hat? Hier herrscht ein wenig Zuckerguss vor. Auch das Ende streift haarscharf am Kitsch vorbei. Und was ich überraschend fand: die eigentliche Nobelpreis-Verleihung kommt mit keinem Wort vor!

Insgesamt bildet sich aber ein positives Urteil über das Buch heraus. Der Leser erfährt mehr über die wissenschaftliche Forschung, die Zeitgeschichte, die Lage der Frauen damals. Das Urteil bleibt letztlich jedem Leser selber überlassen.