Viel Licht und Schatten

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Rein literarisch betrachtet ist "Das verrückte Tagebuch des Henry Shackleford" ein ausgezeichneter historischer Roman, der die aufgeladene soziale Spannung der Vereinigten Staaten in den Vorjahren des amerikanischen Bürgerkriegs, dem Leser auf sehr unterhaltsame Weise nahe bringt. Wäre ich ein amerikanischer Geschichtslehrer würde ich dieses Buch höchstwahrscheinlich in meinem Unterricht einsetzen.
Im Zentrum des Geschehens steht der Abolitionist old John Brown (1800-1859), zeitlich spielt sich alles in den Jahren zwischen 1855 und 1859 ab. Old John Brown ist ein religiöser Fanatiker, Vater von 22 Kindern und ein radikaler, gewaltbereiter Gegner der Sklaverei. Er betet täglich stundenlang zu seinem Erlöser, der sein Blut vergossen hat...und bringt die Weggefährten mit seiner Beterei an die Grenzen ihrer Geduld. Der Autor hat all die vielen extravaganten Gebetsanfälle des "alten Mannes", wie old John Brown überwiegend in dem Buch betitelt wird, ganz köstlich beschrieben. Als Leser wartet man immerzu auf die nächste absurde Gebetsattacke des Alten. Die Handlung ist aus der Perspektive eines Jungen erzählt, der durch Zufall von old John Brown, gegen seinen Willen, aus der Sklaverei entführt und in dessen Clique aufgenommen wird. Dieser Junge ist der Schreiber des Tagebuchs, Henry Shackleford. Unversehen Schlittert Henry in die Rolle eines Mädchens und gibt sich fortan als Henrietta aus, mit Kleidchen und Haube auf dem Kopf. Von Henrietta ist aber in dem Buches nur selten die Rede, sondern von der "Zwiebel". Diesen Spitznamen kriegt der 12-jährige Henry Shackleford vom alten Mann höchstpersönlich verpasst. Für die Zwiebel bricht eine mehr als aufregende Zeit an. Eine groteske, zum Himmel stinkende und brutale Geschichte jagt die nächste. Schließlich kommt es im Jahre 1859 zum "großen" Feldzug des alten Mannes gegen die Sklavereibefürworter in der Stadt Harpers Ferry (Virginia), denen er allerdings in den Jahren zuvor bereits tüchtig mit seinem Terror zugesetzt hatte. Vergeblich versucht er Sklaven für seinen Kampf gegen die Sklaverei zu mobilisieren. Am Schluss kann man die farbigen Widerstandskämpfer an old John Browns Seite an einer Hand abzählen. Nach einer blutigen, mehrtägigen Schießerei unterliegt der alte Mann. Er gehört zu den wenigen, die das wilde Gefecht überleben. Old John Brown wird zum Tode verurteilt und am 2. Dezember 1859 vor einer riesigen Zuschauerschaft erhängt. Einige Stunden vor seiner Hinrichtung besucht ihn die Zwiebel in seiner Zelle. Es ist ein Abschied für immer.
In der ersten Hälfte des knapp 462 Seiten langen Romans kommt old John Brown als unberechenbarer, blutdurstiger Psychopath rüber, bei dem der Leser irgendwie kein gutes Gefühl verspürt. Das ändert sich dann, parallel mit der sich positiv entwickelnden Beziehung zwischen der Zwiebel und dem alten Mann, insbesondere im letzten Viertel des Buches. Zum Schluss hin hat sich die Perspektive auf ihn, den Gotteskrieger, komplett zum Guten, zum heroischen, ja sogar zu noch Höherem gewendet. So schreibt McBride auf Seite 459 "Es war das erste Mal, dass ich (Henry/die Zwiebel) ihn wirklich lächeln sah, ein ehrliches, offenes Lächeln. Es war, als sähe ich Gottes Gesicht,..."
Ich persönlich konnte das Grauen, das die Massakrierung eines Sklavereibefürworters einschließlich seiner Söhne, durch old John Brown, in mir verursacht hatte, nicht loswerden. Es war mir ständig in abstoßender Weise im Bewusstsein! Diesen Menschen wurden mit Schwertern die Köpfe gespalten. Der ermordete Vater schrie noch in seiner Todesangst als ihm schon die Hälfte seines Halses abgeschlagen worden war und seitlich wegtaumelte...Seine noch lebenden Söhne waren Zeugen dieser Szene!
Bei mir bleibt irgendwie ein ungutes Gefühl zurück, denn dieses Massaker kann ich persönlich in keiner Weise mit dem Glauben an Jesus Christus vereinbaren! Der Heldenstatus von old John Brown ist und bleibt bedenklich in meinen Augen! Er hatte vielleicht gute Prinzipien aber tragischerweise überhaupt kein Mitgefühl!