Mein Herz ist ein Schiff im tosenden Meer

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antiquariat_der_träume Avatar

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Kurzmeinung: London 1601, faszinierend, verführend und phantastisch geschrieben

Rezension:
Vogelmädchen. Ein klangvolles Wort und so passend zu dem mystisch wirkenden Cover, welches mich gleich wie magisch anzog. Die tiefen Blautöne, die mich an den nächtlichen Himmel erinnern, mit Gold verziert wie eine strahlend aufgehende Sonne und inmitten dieser ein (Raub)Vogel in seinem Flug. Es wirkt wie eine Geschichte in sich, eine kleine Vorgeschichte, die große Lust auf mehr macht.

Und dieses „mehr“ verbirgt sich wahrlich zwischen den Buchdeckeln. Das Buch ist wie ein Theaterstück, aufgebaut in mehreren Akten, doch vor allem wegen seiner Art die Handlungen darzustellen. Diese sind so vielzählig und flattrig wie eine Vogelschar und manches Mal wirbelten die Eindrücke und Geschehnisse ein wenig zu wild durcheinander, sodass ich sie nicht immerzu gleich auffangen konnte. Hier möchte ich erwähnen, dass das Buch nichts für Schnellleser und Seitenspringer ist. Wie in einem Theaterstück kann man nicht gleich in die Tiefen blicken, hat Raum und Zeit für eigene Gedanken, eigene Interpretationen und sollte sich diese auch nehmen. Auf dieses Buch muss man sich mit seinem Herzen einlassen, denn dann entfaltet sich eine Geschichte, die begeistern kann.

Die Feder Mat Osmans ist mit Sanftheit geschwungen, seine Schreibweise klingt lyrisch, ja, beinahe poetisch und mutet manches Mal edel und elegant, manches Mal grobschlächtig und rau an. Auf diese Weise fängt er auf angenehmste Art das Herz der Charaktere ein, denn hier wird nicht beschönigt welche Irrungen und Wendungen das Leben junger Menschen auf den Straßen von London 1601 nehmen kann. Ich mochte vor allem die blumigen Begriffe, die das Leben als Vogelflüsterin beschreiben. Doch kamen mir die Straßenworte (z. B. Kotze) nicht vollkommen fehl am Platze vor.

Durch die detailverliebten und bildgewaltigen Beschreibungen der Charaktere, aber auch der Orte und Szenerien, hat die Geschichte ihre Längen, doch wirkten diese für mich an manchen Stellen wie eine kleine Pause zum Verschnaufen und Nachdenken.

Die Charaktere sind entsprechend ihren Beschreibungen komplex und interessant, teilweise faszinierend ausgearbeitet. Shay, deren Lebensreise wir begleiten, gefiel mir besonders gut, denn sie wirkt herrlich natürlich inmitten all der Dramatik. Ihre Gaben machen sie keineswegs zu einer übergeordneten Persönlichkeit und so fiel es mir nur allzu leicht mich in sie hineinzuversetzen und mit ihr mitzufühlen. Doch auch Nonesuch wusste stets meine Neugier und Interesse zu wecken. Von den Charakteren der Nebenwelten hätte ich hier und da gern mehr gesehen.

So ist das Buch ein Theaterstück, welches nicht innerhalb weniger Stunden verschlungen werden sollte und auf seine ganz eigene Weise zum Nachdenken anregt. Vielleicht mag dem einen oder anderen die Tiefe in Szenerie und Charakter fehlen, doch wie wir auf der Bühne nur einen kleinen Eindruck der großen Welt erblicken, finden wir auch in diesem Buch Platz für eigene Gedanken und Interpretationen.