Leider enttäuschend

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„#Metoo“, „Womans March“, „Power to the polls“, „Get her elected“ – es scheint als erlebe der Feminismus nach einer Zeit, in der sich erstaunlicherweise gerade viele junge Frauen demonstrativ davon distanzierten, meinten, seine Ziele seien doch weitgehend erreicht, wieder neuen Schwung. Gerade in Amerika, wo mittlerweile ein expliziter Frauenverächter an der Macht sitzt, regt sich Gegenwehr. Hier spürt man vielleicht besonders deutlich, dass sich in den Denk- und Verhaltensmustern der Geschlechter doch gar nicht so grundlegend etwas verändert hat wie man gemeinhin glaubte.
Zeit also auch für feministische Romane.
Nun kann man davon ausgehen, dass die amerikanische Autorin Meg Wolitzer schon vor 2017 mit ihrem Roman „The female persuasion“, auf Deutsch unlängst unter dem Titel „Das weibliche Prinzip“ erschienen, begonnen hatte. Wolitzer ist schon immer an feministischen Themen interessiert gewesen. Ihr Essay „The second shelf“ von 2012, das die Zweitrangigkeit der literarischen Werken von Autorinnen auf dem Buchmarkt beklagt, erhielt große Aufmerksamkeit. Vor den aktuellen Debatten konnte viel häufiger passieren, was die Protagonistin befürchtet.
„Sie musste aufpassen, denn wenn sie zu lange über Frauenfeindlichkeit redete, würden die Köpfe auf die Brust sinken und das ganze Publikum würde anfangen zu schnarchen.“
„Das weibliche Prinzip“ ist also nicht unbedingt ein Buch zur aktuellen Debatte, aber eines, das perfekt in die Zeit passt. Oder passen würde. Wenn es nämlich tatsächlich ein Buch über/zum Feminismus wäre. Und nicht nur ein Buch, das eine Protagonistin hat, die an eine bekannte Feministin (Gloria Steinem) angelehnt ist, und eine, die für diese arbeitet. Also eigentlich ziemlich beliebig ist.
Meg Wolitzer wollte mit „Das weibliche Prinzip“ einen „feministischen Generationenroman“ schreiben. Und mit etwas Wohlwollen ist ihr das durchaus gelungen. Denn um verschiedene Frauengenerationen geht es, um die Pionierinnen, die heute in den Siebzigern sind, um die mittlere Generation und um die ganz Jungen, die Zwanzigjährigen. Wir kennen diese Generationsfolgen mit ihren Konflikten meist in Form von Familienromanen, in denen die Frauen aufeinanderfolgen, voneinander lernen, sich gegenseitig unterstützen, sich auch gerne mal das Leben schwer machen. Großmutter-Mutter-Tochter-Konflikte, man kennt das. Um was es in solchen Romanen selten geht, soll hier bei Meg Wolitzer mit im Zentrum stehen, nämlich Macht und Einfluss(nahme). Ein eher männlich besetztes Themengebiet, seit dem Ödipus-Mythos unzählige Male literarisch bearbeitet. Aber Macht und Einfluss bei Frauen? Konkurrenz und Verdrängung jenseits des stereotypen Zickenkriegs? Allianzen und Netzwerke? Gibt es, aber doch deutlich seltener.
Im „weiblichen Prinzip“ ist es die junge Studentin Greer Kadetsky, die für die von ihr sehr verehrte Feministin und Publizistin Faith Frank arbeitet. Die beiden lernen sich 2006 an Greers College kennen. Wenn der Roman 2019 endet, wird bereits eine neue Generation junger Frauen auf den Plan treten, die feministische Ikonen, wie Faith Frank eine für Greer und ihre Freundin Zee noch war, ablehnen und dem Feminismus generell kritischer gegenüberstehen.
Diese Entwicklung ist nun tatsächlich nichts Neues. Überhaupt sagt uns das Buch leider nichts Neues, kein einziger origineller Gedanke, keine Überraschung, keine neuen Denkansätze. Dafür eine routiniert geschriebene Geschichte, professionell erzählt, aber auch ziemlich blutleer und konventionell.
Greer stammt aus einer recht lieblosen Familie. Die Eltern, Späthippies in den Achtzigerjahren, die genug mit sich selbst zu tun hatten, kümmerten sich nie wirklich um Greer, gaben ihr keinerlei Nestwärme. Cory, der Nachbarsjunge, der sehr bald zu Greers bestem Freund, später Liebhaber und nach einer längeren Auszeit – ich wage es, zu spoilern, ist diese Entwicklung doch leider sowieso viel zu vorhersehbar – Ehemann wird, hat rührend bemühte Eltern, die sich für ihre Kinder nahezu zerreißen (ihre lateinamerikanischen Wurzeln sind sicher nicht zufällig von Wolitzer gewählt). Man sieht schon an dieser kleinen Konstellation, woran das Buch meiner Meinung nach krankt – es ist einfach überkonstruiert. Jeder der Figuren kommt eine explizite Rolle zu, aus der sie niemals ausbricht. Überraschende Entwicklungen kommen nicht vor. Dabei ist Meg Wolitzer aber eine zu versierte Erzählerin, um die Charaktere eindimensional anzulegen. Sie haben durchaus ihre Widersprüche, aber alle im vorhersehbaren Rahmen.
So verschusselt Greers Vater die Anmeldung seiner Tochter im renommierten Yale und sie muss sich mit dem mittelmäßigen Ryland College begnügen. Corys Eltern ermöglichen ihrem Sohn natürlich ein Studium in Princeton. Die Schilderung der verschiedenen Studienalltage und ihres weiteren Werdegangs (Greer und Cory erhalten jeweils eigene personale Erzählstimmen), der Träume, Hoffnungen, Lebensentwürfe und Enttäuschungen der beiden jungen Leute nimmt einen Großteil des Buches ein. Wir kennen das von Wolitzers sehr erfolgreichem, und meines Erachtens deutlich gelungenerem Roman um eine Freundesclique, „Die Interessanten“.
Der einzige überraschende Moment im Buch, die einzige Entwicklung, die mich wirklich hätte fesseln können, geschieht kurz vor der Romanmitte und ich fand es wirklich enttäuschend, dass Wolitzer sie wiederum nur als Moment für ihre weitere Erzählkonstruktion verwendet hat. (Achtung Spoiler!)
Es geschieht nämlich ein denkbar schreckliches Unglück. Corys Mutter überrollt den kleinen Bruder beim Zurücksetzen in der Garageneinfahrt beim Spielen. Der Kleine stirbt, der Vater verlässt die Familie, weil er der Mutter nicht verzeihen kann, diese wird schwer krank. Eine Situation, die unvorstellbar ist, und von daher wert, sie zu erzählen. Wolitzer beschränkt sich aber darauf, sie als Anlass dafür zu nehmen, dass Cory seinen aussichtsreichen Job als Trader in Manila hinwirft, um seine Mutter zu pflegen. Auch hier ist mir die Konstruktion zu laut. Cory fungiert hier als der „weiblichste“ aller Protagonisten, ist doch sein Weg, die Karriere ruhen zu lassen, um Angehörige zu pflegen üblicherweise Frauensache. Natürlich versackt Cory in seinem „Nichtstun“, natürlich kommt es zum Bruch mit der mittlerweile in einer von Faith Frank geleiteten feministischen Stiftung sehr erfolgreichen Greer. Diese ist auch vor einem Verrat an ihrer besten Freundin Zee nicht zurückgeschreckt, um sich diesen Platz an der Sonne zu verschaffen. Nun beschäftigt sie sich mit #sandwichhäppchenfeminismus und organisiert „Kitschkongresse“: zahlungskräftigen Damen werden bei ansprechendem Begleitprogramm nebst Maniküre und Wahrsagerin feministische Themen und Projekte für benachteiligte Frauen unterbreitet. Milliardenschwerer Sponsor ist ein alter Verehrer Faiths. Als es um ein Projekt in Ecuador zu Unregelmäßigkeiten kommt, die Faith deckt, wirft Greer ihr Verrat an der Sache vor und es kommt zum Bruch zwischen den beiden Frauen. Ein typischer Generationenkonflikt.
Greer wird ihre Zukunft als erfolgreiche Buchautorin finden, die anderen Aspekte des dick aufgetragenen Happy-Ends sind mir zu peinlich, um sie hier näher zu schildern. Kaum ein befürchtetes Klischee wird ausgelassen. Das macht das Buch so versöhnlich, freundlich, warmherzig und angenehm zu lesen. Und das ist genau der Grund, warum es dann vielleicht auf dem „second shelf“ landen wird, und das nicht einmal zu Unrecht.
Der Roman fließt dahin, ist durchaus komplex und durchdacht, aber ohne irgendeine neue Erkenntnis, ohne auch nur das kleinste bisschen weh zu tun (wenn es beim Tod von Corys Bruder einen Anlauf dazu nimmt, biegt die Autorin schnell ab). Da ist keinerlei Wut oder Furor oder Utopie oder Erschütterung. Im Endeffekt ist es viel harmloser als die Wirklichkeit. Und das ist einem wichtigen Thema wie dem Feminismus, der hier nur Staffage ist, nicht angemessen. Gerade nicht in einer Zeit, die Wolitzer nicht zu Unrecht „das große Grauen“ nennt. Da braucht es andere Bücher. Zumindest, wenn sie sich für die Sache des Feminismus einsetzen wollen und nicht doch nur nette, gut lesbare Unterhaltungslektüre sein. Vielleicht hat die Autorin das selbst erkannt.
„Ihr Buch, das sich redlich bemühte, das ermutigte und anspornte, war, wie Greer wusste, keineswegs originell oder brillant; es war definitiv eine unvollkommene Plattform. Und Greer war keine Leitwölfin. Das würde sie nie sein.“
Schade, dass das für Meg Wolitzer und „Das weibliche Prinzip“ auch zu gelten scheint.