Sehr tiefgehend und intensiv

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Inhalt
Greer ist gerade aufs College gekommen, als sie die berühmte Frauenaktivistin Faith kennenlernt. Die ist bereits über sechzig und musste schon einige Schicksalsschläge hinnehmen - als sie jedoch einen neuen Gönner findet, gründet sie ein Unternehmen, das Frauen weltweit unterstützen wird. Greer, die auf eine eher ungewöhnliche Kindheit zurückblickt, stimmt sofort zu, als Faith ihr einen Job anbietet. Zwar trennt sie das von ihrer Jugendliebe Cory, aber sie glaubt, das würde die Beziehung verkraften.
Jahre später ist alles anders: Cory wohnt wieder bei seiner Mutter und führt dieser den Haushalt und Greer steckt ein bisschen fest. Dann enthüllt sie einen Schwindel, den Faith jedoch decken will. Eine Bewährungsprobe für die beiden Frauen.

Meinung
Wolitzer hat einen einzigartigen Roman geschrieben, der nach dem Zuschlagen der letzten Seite noch lange nachhallt und oft durchdacht sein möchte. Leichte Kost serviert die Autorin also nicht. Die knapp fünfhundert Seiten sind dicht beschrieben - und jeden Cent wert.
Greer entstammt einer Art Hippie-Familie, Eltern, die noch immer gern kiffen und das Kind meist sich selbst überlassen. Faith dagegen einer spießig-bürgerlichen, deren strenge Art zu denken sie erst kennenlernt, als sie und ihr Zwillingsbruder aufs College gehen wollen. Zweimal ein Start ins Leben, der die jeweilige (weibliche) Persönlichkeit geprägt hat, auch wenn Jahrzehnte dazwischen lagen. Zudem hat das eine, das andere quasi bedingt. Wolitzer stellt beides nebeneinander, baut es aufeinander auf, vergleicht es.
Aber nicht nur Greer und Faith kommen zu Wort, auch Corys Lebensgeschichte wird über die rund zehn Jahre, die dieser Roman beinhaltet, geschildert. Obwohl der junge Mann zum Start ins Leben ein Unternehmen gründen und ein echtes Alphatier werden wollte, bringt ihn ein schwerer Schicksalsschlag zurück ins Elternhaus, wo er die meisten Arbeiten übernehmen muss. Ein Scheideweg nicht nur für ihn, sondern auch die Beziehung zu Greer. Die Autorin hat eine fabelhafte Art, Dinge einfach und unkompliziert zu zeigen, ohne den Leser mit der Nasenspitze darauf zu stoßen. Auch wenn es zugegeben manchmal etwas dauert, aber der Showdown reißt es in jedem Fall heraus. Was bestimmt den (wahren) Wert eines Menschen? Die Frage steht bei Cory sehr weit im Vordergrund und führt zum ersehnten Happy End.
Nicht zuletzt gibt es noch Greers lesbische Collegefreundin Zee, die zwar aus einem vermögenden Elternhaus stammt, den vorbestimmten Weg allerdings nicht gehen möchte. Wolitzers dritte Gegenüberstellung, die allerdings am kürzesten behandelt wird, wenn trotzdem sehr aussagestark. Frauen sollen immer zusammenhalten, aber manchmal klappt das eben nicht; macht sie das zu schlechteren Menschen?
Rechnet Wolitzer in "Das weibliche Prinzip" ein bisschen mit dem "alten" Feminismus ab? Die Entwicklung ist ein Weg, der nur langsam beschritten werden kann und oft genug mit großen Steinen beschwert ist. Etwas hat funktioniert und das auch sehr gut, aber vieles leider nicht: Es wird mehrfach erwähnt, dass die Ungleichstellung der Frau weltweit wieder stark auf dem Vormarsch ist - eine Beobachtung, die ich teile. Faith' Generation war noch zu abhängig von Männern (und deren Geld), Greers dagegen versucht ein wenig zu sehr wie diese zu sein. Aber vielleicht sind es auch nicht (nur) die Frauen, die sich ändern müssen, sondern alle Menschen. Emanzipieren muss man sich auch mal von alten Vorstellungen, egal woher sie kommen, um dann neue Wege beschreiten zu können. Wolitzer hat so viel in ihren Roman zum Nachdenken gepackt, das es schlicht nicht möglich ist, dies angemessen in diesen paar Zeilen wiederzugeben.
"Das weibliche Prinzip" hat zugegeben zum letzten Drittel hin ein paar Längen, aber das Ende reißt es doppelt und dreifach wieder heraus. Wer nachhaltigen Lesestoff sucht, der mit echten Figuren bestückt für viel Unterhaltung zu sorgen versteht, sollte zugreifen.