Das Kadaverzimmer

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miro76 Avatar

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"Bei uns zu Hause gab es vier Schlafzimmer. Meines. Das meines Bruder Gilles. Das meiner Eltern. Und das der Kadaver" (S. 7)

Denn der Vater frönt einem schaurigen Hobby - die Großwildjagd. Außerdem liebt er Whiskey und Fernsehen. Bei Tisch wird nicht gesprochen, außer wenn der Vater seine kleine Hetzjagd zu Hause ausübt, die immer darin endet, dass die Mutter Schläge einstecken muss. Manchmal liegt das schon tagelang in der Luft, doch niemand kann seine Attacken abwehren.

In so einer Atmosphäre aufzuwachsen ist kein Zuckerschlecken. Deshalb versucht die Erzählen alles, um wenigstens ihren kleinen Bruder zum Lachen zu bringen, ihm Liebe zu schenken und ihn vor der Welt zu beschützen. Bis es zur Tragödie mit dem Eismann kommt. Von einer explodierenden Sahneflasche wird ihm das halbe Gesicht weggeschossen, direkt vor den Augen der Geschwister.

Der kleine Bruder wird niemals mehr der selbe sein. Sein Lachen ist verschwunden und in seinem Kopf macht sich eine Leere breit, die schon bald von Gewalt und Aggression besetzt wird.

Die Erzählerin ist sehr schlau. Sie lernt fleissig, taucht in die Quantenphysik ein und möchte in der Zeit zurückreisen, um diese Tragödie ungeschehen zu machen.

Adeline Dieudonné hat in diesem Buch eine gruselige Atmosphäre geschaffen. In dieser Reihenhaussiedlung kümmert sich niemand um die Nachbarn, doch die junge Erzählerin trifft trotzdem immer wieder auf Menschen, die ihr Kraft geben und sie unterstützen. Diese Mädchen hat ein klares Ziel und tut alles dafür, um es zu erreichen, denn sie muss ihren kleinen Bruder retten.

Als Leser*in fragt man sich ständig, was noch alles passieren muss, bis diese Familie zerbricht, oder sich die Schwächeren daraus befreien. Aber häusliche Gewalt ist nicht zu einfach zu verstehen, denn die Opfer haben oft einfach nicht die Kraft sich zu wehren.

Hier kommt es nach einem unglaublichen Spannungsbogen zu einem finalen Showdown, den ich so nicht erwartet hätte. Ab der Hälfte war das Buch so spannend, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Dieudonné hat mit diesem Mädchen eine tolle Protagonistin geschaffen, die keine Superheldin ist und sein möchte. Die immer wieder strauchelt und fällt, sich immer wieder aufrappelt und nicht verzagt. Ihre Superkraft ist Resilienz und es ist beeindruckend, wie viele Empathie aus so einer lieblosen Familie erwachsen kann.

Ich habe die Lektüre sehr genossen, obwohl die Thematik schwierig und bedrückend ist. Doch die Erzählung aus der Sicht des Kindes ist gleichzeitig locker und selbstverständlich. Sie hinterfragt nicht. Sie nimmt ihr Leben wie es ist und möchte es einfach besser machen.

Und außerdem ist die Geschichte unglaublich spannend!