Das Lachen der Hyäne

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hennie Avatar

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Ich kann es vollkommen nachvollziehen, dass Adeline Dieudonnés Romandebüt in Frankreich so erfolgreich angenommen und mit Preisen überhäuft wurde. Das einzigste, was mich an dem Buch stört, ist die Tatsache, dass es nur 239 Textseiten hat.
Zum Inhalt:
Aus der Sicht des namenlosen Mädchens erfolgt die Erzählung über einen ungefähren Zeitraum von fünf Jahren. Zu Beginn ist sie 10 Jahre alt und der kleine Bruder Gilles vier Jahre jünger. Mit ihren Eltern bewohnen sie ein schönes Haus am Waldrand. Rein äußerlich erscheint ihr Leben normal. Doch hinter der Fassade herrscht alles andere als Idylle. Es sind sehr schlimme Verhältnisse, in der die Geschwister aufwachsen.
Da ist zum einen der gewalttätige, sauffreudige Vater mit seinem rauschhaften Hang zur Jagd und auf der anderen Seite die stoische, duldsame und unscheinbare Mutter, die ihre uneingeschränkte Gunst nur den Haustieren widmet! Das Mädchen nennt sie die Amöbe.
Mit dem schrecklichen Unfall des Eismannes, der vor den Augen der beiden Kinder geschieht, erlischt die Lebensfreude des kleinen Jungen. Sein herzliches „Milchzahnlachen“ verstummt und nur seine Schwester kämpft für ihn. Sie will die Zeit überlisten, eine Zeitmaschine bauen und tut alles in ihrer kindlichen Auffassung dafür. Mit großem Eifer und mit immer stärker werdenden Selbstbewußtsein beginnt sie Wissen in sich aufzusaugen, auch noch, nachdem sie von einer vermeintlich Verbündeten schwer enttäuscht wird. Die Zeit vergeht und wendet sich gegen das Mädchen. Ihr Bruder nimmt die brutalen Verhaltensmuster des Vaters an und sie erregt immer öfter die Aufmerksamkeit des Vaters, der seine Wutausbrüche nicht mehr nur gegen die Mutter wendet. Die Katastrophe kündigt sich an...
Meine Meinung:
Von Beginn an spürt man das Bedrohliche, das Düstere. Die Geschichte fesselt mich von der ersten Seite an. Ich bin sehr beeindruckt von der Schreibweise und der Erzählung aus der Sichtweise des Mädchens. Ich fühlte mich in ihre Gefühlswelt vollkommen hineingezogen. Wie ein roter Faden zieht sich die ausgestopfte Hyäne aus dem furchteinflößenden Trophäenzimmer des Vaters durch ihre Vorstellung. Sie ist regelrecht davon angefixt und verbindet das Tier mit dem Bruder und seiner negativen Entwicklung, seiner sichtbaren Wesensänderung seit dem Unglück.
In einer wunderbaren, klaren und einfachen Sprache wird die dramatische Familiensituation plastisch und nachvollziehbar dargestellt. Die Erzählweise erfolgt sehr eindringlich, ohne Schönfärberei, sehr authentisch und ließ bei mir ein ums andere Mal Bilder im Kopf entstehen, die sicher noch lange nachwirken werden. Dabei drückt sich die Autorin hin und wieder in einer poetischen Art und Weise aus, die ich bei dem erdrückenden Thema der häuslichen Gewalt so nicht erwartet hatte. Also: Die Macht der Sprache haut mich wirklich um. Viele einprägsame Sätze habe ich in meine Zitatensammlung aufgenommen.
Ihre Stärke, die psychische Widerstandskraft des Mädchens, ihre Fähigkeit sich in schwierigsten Familiensituationen zu behaupten, sich nicht verbiegen zu lassen, wird eindrucksvoll über den gesamten Roman beschrieben. Sie ist die Hauptperson, aber am Ende geht sie trotzdem nicht als Siegerin hervor. Es gibt keine Gewinner! Wie erwartet eskaliert die Situation in der Familie schließlich aufs Äußerste. Die Gewalt wird mit Gewalt beantwortet. Übrig bleiben drei Menschen, die mit ihrem weiteren Leben klarkommen müssen. Es endet hoffnungsvoll, aber läßt offen, ob und wie sie es schaffen werden.
Das Monster, die Hyäne wurde besiegt.

Fazit:
„Das wirkliche Leben" ist eine Geschichte, die betroffen macht und mich nachdenklich zurückließ. Es ist ein wichtiges Buch und macht aufmerksam auf gewalttätige Situationen in Familien, die leider aktuell und tatsächlich Alltag sind. Es erhält von mir das Prädikat "besonders wertvoll"!
Ich kann die Lektüre allen empfehlen und bewerte dieses außergewöhnliche Buch mit fünf von fünf Sternen und bedenke es zusätzlich mit vielen Herzchen.