Thematik: Häusliche Gewalt

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wandablue Avatar

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Ein traumatisierendes Geschehen, eine Explosion, deren Zeugen sie werden, verändert das ohnehin nicht gerade leichte Leben eines Geschwisterpaars. Der Junge ist zu diesem Zeitpunkt sechs, das Mädchen zehn. Die ganze Familie lebt und leidet mit und unter einem despotischen Vater. Erzählt wird aus der Sicht des Mädchens aus der Rückschau.

Die Erzählerin ist eine kleine Intellektuelle, die sich der Gewaltspirale, in der sie sich befindet, bewusst ist und sich abgrenzt. Das geschieht durch eine schnoddrige mit Zynismen durchschossene Sprache samt überbordenden Vergleichen sowie dem Aufbau einer Fantasiewelt, in der das Mädchen mehr hofft als wirklich glaubt, sich zeitlich durch den Bau einer Zeitmaschine zurückversetzen zu können, vor den Zeitpunkt der Explosion. Eine solche Illusion lässt sich jedoch nicht ewig aufrechterhalten. Jedesmal wenn die Erzählerin wieder eimal einer Fluchtmöglichkeit vor der schlimmen Realität beraubt wird, steigert das Buch die Spannung! Bruder und Schwester wählen unterschiedliche Wege, um mit der Situation klarzukommen. Die diesbezüglichen Schilderungen, Tierquälereien, etc., mögen einem nicht gefallen, aber sie sind eine Möglichkeit. Nicht die beste. Aber eine, die für die Betroffenen greifbar sind.
Statt die übliche Betroffenheitsschiene auszuwalzen, hat sich die Autorin für eine steile Spannungskurve in ihrem Buch entschieden, selbst auf Kosten unwahrscheinlicher Wendungen. So wird die Autorin diejenige Klientel in ihr literarisches Boot holen, die es angeht, nämlich die jungen Erwachsenen, die sich damit auseinandersetzen sollen, was häusliche Gewalt ist, wie sie sich auswirkt und ob sie zu überwinden ist. Oft genug sind sie in der einen oder anderen Form selber betroffen. Dass das Buch so spannend gestaltet ist, ist seine Stärke. Deshalb kommt es auch gut an.

Fazit: Für ein Jugendbuch, ab fünfzehn, ist „Das wirkliche Leben“ ein großartiger Roman, der die Thematik der häuslichen Gewalt spannend und langeweilefrei aufbereitet; für mich als Erwachsene ist das Sammelsurium an Einfällen oft zu kurios. Und was das Buch im „Literarischen Quarett“ vom Mai 2020 zu suchen hatte, ist mir schleierhaft.

Kategorie: Junge Erwachsene: 5 Punkte
Kategorie: Belletristik. Anspruchsvolle Literatur: 3 Punkte.
Verlag: dtv, 2020