Zu krass ist möglich

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readtobee Avatar

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'Das wirkliche Leben' spielt sich hinter Fassaden ab. Hinter menschlichen, hinter menschgemachten. Es kann weh tun, weil es rücksichtslos ist. Es ist Zufall.
Für die junge Protagonistin bedeutet wirkliches Leben, mit Gewalt, Hass und Wut zu leben.
Es ist vorhersehbar, wann dieses 'Geschmeiss' aus dem Hirn des Vaters hervorkriecht und es ist vorhersehbar, dass es den kleinen, traumatisierten Bruder ebenso befällt. Doch wie soll ein Kind diesem Vater, einer unterwürfigen Mutter entkommen und sich gleichzeitig der Verantwortung für den kleinen Bruder stellen?
'Das wirkliche Leben' von Adeline Dieudonné ist wie ein Konzentrat. Aus Schlägen, die nicht heimgezahlt werden können. Bis zum Schluss.
Der Bruder hat einen Namen, der Hund hat einen, die Protagonistin, die Eltern bleiben namenlos.
Gewalt und Ohnmacht haben viele Facetten, vielleicht deswegen. Sie sind physisch, psychisch, können jeden jederzeit treffen.
Der Antrieb der Ich-Erzählerin ist der Schutz des Bruders. Sie will sein 'Milchzahnlachen' zurückholen und setzt alles daran.
Sie ist schlau und, trotz häuslicher Gewalt, selbstsicher. Sie weiß, was sie will, findet Lösungen.

Ich habe mich gefragt, ob der Vater zu böse, die Mutter zu unterwürfig, die Protagonistin zu verständnisvoll für die Lieblosigkeiten des Lebens ist, die Geschichte zu schwarz-weiß, das Ende zu krass.
Doch ich halte genau das alles für möglich.