Auf der Flucht

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gabiliest Avatar

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Die vielfach preisgekrönte Autorin Louise Doughty hat mit “Deckname Bird” ihren zehnten Roman vorgelegt, einen Thriller der etwas anderen Art. Die Titelfigur des stimmigen Covers zeigt Heather Berriman, Deckname Bird, die Protagonistin, die ihre Geschichte in der Ich- Form erzählt.

Heather erkennt schon als Kind, dass in ihrer Familie die Lüge dominiert, später versteht sie, dass ihr Vater als Geheimagent arbeitet. Sie selbst schlägt eine militärische Laufbahn ein, um nach einigen Jahren und Zwischenschritten auch im Dienst des britischen Secret Service zu landen. Dort macht sie Karriere, ist zufrieden im Job und sieht ihre Rolle im Schutz der Bürger. Doch alles ändert sich, als Heather, nunmehr eine Frau mittleren Alters, nach Birmingham versetzt wird. In einer Teambesprechung erkennt sie, dass sie nur wenige Sekunden Zeit hat, um zu fliehen. Den Grund für ihre Flucht und von wem Heather verfolgt wird, erfahren die Lesenden erst spät.

“Deckname Bird” ist kein typischer Agententhriller. Es geht weder um Staatsgeheimnisse, Bedrohungen durch ausländische Mächte oder Verfolgungsjagden. Einzig die Flucht von Heather ist relevant. Hier beschreibt die Autorin akribisch, welchen Weg die Protagonistin zurücklegt. Ebenso bringen die detaillierten Schilderungen der Stationen und Szenerien die Lesenden dazu, Heather auf ihrer Flucht, die bis nach Island führt, zu begleiten. Die Lesenden sehen die Gefahr durch Heathers Augen, hören durch ihre Ohren den Gesprächen der Menschen zu und fühlen mit ihr die Angst, verfolgt, bedroht und ermordet zu werden. Wird es für Heather möglich sein, jemals zur Ruhe zu kommen und ein normales Leben zu führen?

In diesem psychologisch ausgefeilten Thriller werden in Rückblenden die persönlichen Beziehungen von Heather, der Computer lieber sind als Menschen, thematisiert. Aus ihrer Militärzeit hat Heather nur eine enge Freundin, Flavia, die sie platonisch innig liebt, mit der sie sich aber überwirft. Denn Heather kann ihr nicht erklären, warum sie nicht immer da sein kann, wenn Flavia sie braucht. Diese Entwicklung ist für Heather schmerzlich, denn sie fühlt auch große Zuneigung zu Flavias Tochter Adelina, hat aber lange keinen Kontakt mit ihr. Erst nach langen Jahren wird sie versuchen, wieder an Adelinas Leben teilzunehmen, auch wenn sie weiß, dass ihr Beruf eine enge Bindung unmöglich macht. Die Beziehungen zu Männern bleiben oberflächlich, dennoch spürt man, dass Heather sich wünschen würde, Geborgenheit und Ruhe zu finden. Letztlich bleibt der Ausgang dieses tiefgründigen Romans offen.

Louise Doughty hat mit “Deckname Bird” eine faszinierendes Buch geschrieben, das den Spannungsbogen bis zum Ende halten kann und ein genaues Persönlichkeitsprofil der Titelfigur zeichnet. Als Lesernde:r erlebt man mit, welchen Erkenntnisschock es für Heather bedeutet, von der Jägerin korrupter Agenten selbst zur Gejagten zu werden. Lange ist nicht klar, wer sie ausgenutzt und betrogen hat. Die Sprache der Autorin ist präzise und realitätsnah, dennoch ist das Buch gut lesbar und die Geschichte sehr eindringlich erzählt. Ich kann daher diesen Thriller gerne empfehlen und bewerte ihn mit verdienten fünf Sternen.

Mein Fazit:

“Deckname Bird” ist ein vielschichtiger Roman, der den Lesenden die Schrecken von Verfolgung und Bedrohung vor Augen führt, ohne dass es einer fulminanten Handlung bedarf. Hier geht es um die Kunst zu überleben, etwas, das selbst der Geheimagentin Bird schwer fällt und sie immer wieder in scheinbar ausweglose Situationen bringt. Durch die intensive Beschreibung der Flucht der Protagonistin wird man direkt in das Geschehen mit einbezogen, die detailreiche Beschreibung
des Fluchtweges und der widrigen Umstände machen ein Mitfühlen möglich. Louise Doughty ist ein Buch gelungen, dessen Geschichte Spannung bietet und fasziniert.