Auf Südsee-Mission

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„Dein ist das Reich“ – was für ein mächtiger Titel. Er scheint gleich auf Mehreres anzuspielen: auf das Gottvertrauen der Protagonisten, aber auch auf das Reich Gottes, das sie den Papua auf Neuguinea nahebringen wollen. Die Idee, in ein fremdes Land einzudringen und den Einheimischen die eigene Kultur aufzuzwingen, könnte ebenfalls mitschwingen. Denn um all das geht es in diesem Buch, in dem die Autorin Katharina Döbler ihre eigene Familiengeschichte verarbeitet.

1913 verlassen Döblers spätere Großväter Heiner Mohr und Johann Hensolt ihre fränkische Heimat und begeben sich auf eine lange Schiffsreise – noch nicht ahnend, dass sie dadurch dem Ersten Weltkrieg entgehen werden. Die jungen Männer sind von dem lutherischen Missionswerk in Neuendettelsau entsandt und auf dem Weg nach Kaiser-Wilhelms-Land, wie die deutsche Südsee-Kolonie heißt. Johann wird dort als Missionar arbeiten und Heiner als Pflanzer für die Bewirtschaftung einer Palmenplantage verantwortlich sein. Beide sind erst Anfang zwanzig.
Nach dem Ersten Weltkrieg wird die Kolonie australisches Mandatsgebiet, doch die deutschen Missionsabgesandten dürfen bleiben und sogar ihre Bräute aus Deutschland nachholen. Marie und Linette sind grundverschieden und lernen sich auch erst viele Jahre später kennen, da die Familien in unterschiedlichen Teilen Neuguineas leben. Doch ihre Kinder, von denen sich zwei – Döblers Eltern – nach dem Zweiten Weltkrieg verloben werden, eint die Sehnsucht nach dem inzwischen verlorenen Paradies.

Man kann sich heute kaum vorstellen, wie es ist, die Heimat zu verlassen, um in einem Land zu leben, das man nur von ein paar Reiseberichten und Schwarzweißfotografien kennt. Und dann geht es noch nicht mal „nur“ um das Leben in der Fremde, sondern sie soll auch noch nach deutschen Vorstellungen bewirtschaftet und gestaltet werden, die indigenen Völker erzogen und missioniert. Die vier Franken glauben an ihren Auftrag, gehen mit der Herausforderung jedoch so unterschiedlich um wie mit dem später aufkeimenden Nationalsozialismus.

Döblers Roman tastet sich behutsam an die fiktionalisierten Schicksale ihrer Großeltern heran. Immer wieder werden alte Fotos und ihre Erinnerungen an Gespräche mit Familienangehörigen beschrieben. Doch am Lebendigsten lesen sich die Geschehnisse in Neuguinea. Was Kolonialismus bedeutet, wie Mission funktioniert – oder eben auch nicht: Döbler macht diese Themen nahbar. „Dein ist das Reich“ ist keine leichte oder bequeme Kost, der koloniale Rassismus und die Verkennung der politischen Entwicklung schmerzen ab und zu richtiggehend. Die unterschiedlichen Haltungen von Linette, Johann, Marie und Heiner regen außerdem zum Nachdenken an: Welche Irrungen sind im historischen Kontext nachvollziehbar – und welche nicht? Was macht Macht mit Menschen? Eine spannende Ergänzung wäre die Sicht der Papua auf die beschriebenen Missionsabgesandten, doch diese hätte den Roman sicher gesprengt. „Dein ist das Reich“ zerrt ein Stück eher unbekannter deutscher Kolonialgeschichte ans Licht, gewährt einen vielschichtigen Zugang dazu und trägt dazu bei, es vor dem Vergessen zu bewahren.