Ein besonderes Buch, das noch besonderer hätte sein können

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Kurzer Hinweis:
Meine Rezension und auch meine Kritikpunkte beziehen sich nur auf meine persönliche Meinung. Dieses Buch ist sehr persönlich, es behandelt die Familiengeschichte der Autorin und deswegen hat sie gewisse Entscheidungen sicherlich aus guten Gründen getroffen.

Als ich die Leseprobe von „Dein ist das Reich“ zum ersten Mal überflogen habe, war ich total fasziniert von diesem Buch und der Idee dahinter. Eine Enkelin, die versucht, die problematische Geschichte ihrer Familie in einer deutschen Kolonie zu rekonstruieren und aufzuarbeiten. Das klang für mich sehr vielversprechend und da ich das Thema Kolonialismus sowieso total interessant finde, hab ich mich wahnsinnig gefreut, als ich erfahren habe, dass ich das Buch lesen & rezensieren darf.

Nun erstmal zum Äußerlichen: das Cover und die gesamte Aufmachung des Buches haben mich absolut überzeugt. Ich liebe die Farbgestaltung, den schwarzen Hintergrund mit den weißen Buchstaben und den bunten Blättern davor. Und ich finde es total cool, dass vorne und hinten im Buch eine Karte enthalten ist, die die damalige Kolonie zeigt. Dadurch wurde es während des Lesens oft einfacher, sich zurecht zu finden und einen Überblick über die Orte zu bekommen. Ich bin generell ein großer Fan von Karten in Büchern, also gibt’s dafür immer Pluspunkte.


Inhalt:
Schon nach den ersten Seiten sind mir zwei Dinge bewusst geworden. 1. Ich hatte total den Überblick über die Charaktere verloren. 2. Das Buch hätte definitiv eine Triggerwarnung gebrauchen können.
Was die Charaktere angeht, so kann es natürlich durchaus sein, dass das Problem bei mir als Leserin liegt und ich einfach nicht alles richtig auf dem Schirm hatte. Allerdings hatte ich während des Lesens oft den Eindruck, dass man bei den Figuren nicht so recht hinterher kommt, wenn man eben nicht Teil der Familie ist und genau weiß, wer zu wem in welchem Verwandtschaftsverhältnis steht und so weiter. So musste ich oft überlegen, wer jetzt der Vater/die Mutter von wem war und mit welchen Menschen die nochmal bekannt waren. Das hat das Lesen wirklich anstrengend gemacht.
In Bezug auf die Triggerwarnung möchte ich gerne folgendes sagen: ja natürlich, wenn man ein Buch über den Kolonialismus liest, dann ist einem sehr wahrscheinlich bewusst, dass Rassismus darin eine große Rolle spielen wird. Trotzdem hätte ich es gut gefunden, wenn zu Beginn darauf hingewiesen worden wäre, denn die rassistischen Positionen der Großeltern werden nicht aufgearbeitet, sondern einfach so in den Raum gestellt. Nach dem Motto: „Ja, so wars halt.“ Und klar, so wars ja halt auch damals, aber das bedeutet ja nicht, dass Menschen, die dieses Buch jetzt lesen, davon nicht verletzen oder bewegen werden könnten. Dementsprechend hätte ein vorwarnender Hinweis nicht geschadet.

Abgesehen davon fand ich den Inhalt wirklich sehr interessant. Da Kolonialismus bei mir in der Schule nur in Bezug auf Afrika behandelt wurde, hatte ich überhaupt keine Ahnung, wie das in Neuguinea abgelaufen ist, geschweige denn davon, wie deutsche Missionare und deren Frauen auf die Inseln kamen und dort das Christentum verbreitet haben. Das Lesen war also durchaus informativ und spannend. Es hat mir gut gefallen, dass dabei nicht nur die Positionen der Männer, sondern auch die der Frauen und somit auch ihre Geschichte geschildert wurde. So hat man einen viel besseren Einblick in den weißen Alltag in einer Kolonie bekommen.
Besonders eindrucksvoll fand ich die jeweiligen Schilderungen zu Kriegszeiten und zur Zeit des Nationalsozialismus. Auf beängstigende Weise war es spannend, nachzuvollziehen, wie aus einer Großmutter und einem Großvater Anhänger Hitlers wurden, während die Eheparter*innen damit nicht so wirklich etwas anfangen konnten. Oft habe ich kopfschüttelnd über dem Buch gesessen und konnte einfach nicht glauben, was da gesagt und gedacht wurde. Wie gesagt, es ist beängstigend, aber auch irgendwie faszinierend.

Schreibstil:
Ich glaube, das Buch hätte mich noch viel mehr überzeugen können, wenn der Schreibstil nicht so neutral und distanziert gewesen wäre. Mir ist bewusst, dass die Autorin das vermutlich absichtlich so gemacht hat, aber mir persönlich hat da einfach ein wenig Nähe zum Geschehen, ein wenig Emotion und ein wenig Auseinandersetzung mit dem Thema gefehlt. Im Prinzip ist das ganze Buch nur eine Schilderung a la „Dann hat sie dies gemacht und er das.“ Das finde ich sehr schade, denn ich glaube, dass die Geschichte noch viel mehr Potential gehabt hätte. So bin ich einfach nie richtig in das Buch hinein gekommen, habe teilweise wirklich lange für einzelne Kapitel gebraucht und bin im Endeffekt einfach nicht so richtig überzeugt.

Fazit:
Dieses Buch ist wirklich besonders. Es ist ein schweres Buch, mit einer düsteren Thematik, das die Möglichkeiten, einen in den Bann zu ziehen, jedoch leider nicht genug genutzt hat. Auch wenn ich den Inhalt sehr spannend fand, habe ich den richtigen Einstieg in die Geschichte nicht finden können und das Buch am Ende mit gemischten Gefühlen beendet.