Ein Stück deutscher Kolonialgeschichte

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kleine hexe Avatar

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Ich war schon öfter in Neuendettelsau, habe aber nur die heutigen Werke und Taten der Diakonie bewundert. Wie verlogen, dogmatisch, selbstgerecht und rassistisch die Diakonie eigentlich in der Vergangenheit war, sowohl in Deutschland als auch in Papua Neuguinea, in der Kolonie im Kaiser Wilhelms Land, habe ich nicht gewusst. Katharina Döblers Buch ist ein richtiger Augenöffner gewesen. Wer wider den Stachel blökte wurde für verrückt erklärt und eingesperrt, die Kinder der Missionarsfamilien wurden in Neuendettelsau betreut wenn sie in die Schule kamen, dadurch wurden die Eltern noch willfähriger gemacht und auf Linie gebracht. Vor Gott sind alle gleich, aber, um mit Ephraim Kishon zu sprechen, manche sind noch gleicher. Es gab da zuerst die Missionare, die durften predigen und missionieren. Dann gab es die deutschen Bauern, die durften die Plantagen verwalten, die Papua zum Arbeiten anhalten, sich um Geräte und Werkzeug kümmern, um den Bau von Kirchen, Häusern, Schulen, Straßenbau, usw. Und dann die Papua, die sich von ihrem althergewohnten Leben trennen mussten, sich christlich taufen lassen und ansonsten durften sie nur arbeiten, lernen, arbeiten, beten, arbeiten, bis in alle Ewigkeit. Das Urteil über sie: „Ihnen (den Papua) fehlen schlicht die Eigenschaften, die das Kennzeichen einer höheren Entwicklungsstufe sind“. (S. 298)

Wir lernen zwei Familien kennen, beide mit fränkischen Wurzeln, die von Neuendettelsau aufbrechen nach Kaiser Wilhelms Land um die Papua zu bekehren und das Werk Gottes zu verrichten. Die beiden Männer und ihre Ehefrauen sind ganz unterschiedliche Charaktere, das eine ist eine Liebesheirat, die andere ist eine Vernunftsehe. Beide Familien haben Kinder, einer der Söhne der Familie Mohr wird eine der Hensolt Töchter heiraten und gemeinsam vier Kinder haben. In dieser Generation ist die eine Tochter, die namenlos bleibt und die Chronik der beiden Familien zusammenstückeln wird aus alten und bruchstückhaften Familiengeschichten, vergilbten Fotos und Dokumenten. Die Geschichte beginnt Ende des 19 Jahrhunderts als die Diakonie Neuendettelsau Anwerber durch die fränkischen Dörfer schickt, Männer anzuwerben, um Gottes Werk bei den Heiden zu vollbringen. Kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges fahren diese zwei Männer getrennt los auf die beschwerliche lange Reise ans andere Ende der Welt. Marie, die Verlobte von Heiner Mohr sollte bald nachkommen, nach Beendigung ihrer Ausbildung als Hebamme und Krankenschwester, sie soll nachreisen aber der Erste Weltkrieg bricht aus und ihre Reise wird verschoben. So wird sie erst 1923 nach Neuguinea fahren, als sie sich längst entfremdet hatte von Heiner Mohr. Linette Marchand und Johann Hensolt finden erst nach dem Weltkrieg zueinander. Das Leben dieser beiden Familien ist nicht leicht. Harte Arbeit, Hitze, Krankheiten, Insekten, Malaria, die Papuaner die nicht mit deutscher Gründlichkeit arbeiten wollen, und über allem die Vorurteile gegenüber den andersdenkenden, den anders lebenden, den Farbigen. Die Intoleranz macht auch vor der eigenen Rasse nicht halt. Zwischen einem deutschen Missionar und einem deutschen Laienprediger bestehen gewaltige Standesunterschiede. Verbrüderungen zwischen den Rassen werden nicht geduldet. Johann Hensolt verliebt sich in eine Papuanerin und hat ein Kind mit ihr. Am liebsten würde er sie und das Kind zu sich nehmen. Für die anderen Missionare ein Anathema. Hensolt wird entlassen, er muss den kolonialen Gottesstaat verlassen. Nach Kriegsende, als es Kaiser Wilhelms Land nicht mehr gibt und keine neuen Missionare mehr aus Deutschland kommen dürfen, wird er wieder aufgenommen, hat aber einen schweren Stand in der strengen Gemeinschaft. Auf einem Heimaturlaub lernt er Linette Marchand kennen und kehr mit ihr als seine Frau zurück nach Guinea.
Oder Bruder Hilpert, er ist halb Deutscher, halb Engländer. „So einer“ darf für kein Kind der deutschen Gemeinschaft Pate stehen. Das geht natürlich nicht!
Was in der Heimat passiert interessiert die deutsche Gemeinschaft sehr. Viele lassen sich schon früh von Hitler beeinflussen, vor allem da auch in Neuendettelsau „ein neuer Wind weht“ und Zeitungen und Briefe aus der Heimat das braune Gedankengut (na ja, gut?) auch hier verbreiten. Und genau in diese Atmosphäre hinein fahren beide Familien nach Deutschland, um ihre Kinder bei den Angehörigen unterzubringen, damit sie da deutsche Schulen besuchen.
Bei den Hensolts ist es Johann, bei den Mohrs ist es Marie die mit den völkischen Ideen liebäugeln, in die NSDAP eintreten, den Gedanken der arischen besseren Rasse vertreten. Heiner Mohr und Linette Hensolt erliegen dieser Versuchung nicht. Während des Jahres in Deutschland erkennen sie die Gefahr, die von Hitler ausgeht, immer wieder versuchen sie ihre Partner zur Raison zu bringen. Auch als der zweite Weltkrieg ausbricht bleiben sie lange Zeit treue Anhänger Hitlers.
Die Erwachsenen reden nicht über die Weltkriege, die Kinder, die in Deutschland die Schulen besuchten, sind von der Kälte des Wetters aber auch der Menschen, von der Indoktrinierung in Neuendettelsau geprägt. Als die überlebenden Erwachsenen nach 1946 nach Deutschland zurückkehren, sind ihre Kinder erwachsen, den Eltern entfremdet.
Das Buch ist spannend geschrieben, wir erfahren immer neue Facetten über das Leben und die Gesellschaft in Papua-Neuguinea aber auch in Neuendettelsau. Aber manchmal muss man innehalten und das Gelesene einsacken lassen, wie die deutschen Internierten auf dem sinkenden Schiff kein Rettungsboot oder Floß bekommen und das Rettungsschiff abdreht, die Ertrinkenden sind ja Deutsche.