Im Einklang mit der Schöpfung

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owenmeany Avatar

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Dieser packende Familienroman beleuchtet die bereits häufig thematisierte Zeit der beiden Weltkriege, jedoch aus dem ganz ungewöhnlichen Blickwinkel der Mission in Papua-Neuguinea. Damit verarbeitet die Kabarettistin, Musikerin und Autorin Katharina Döbler die Geschichte ihrer eigenen Familie, indem sie sich anhand von Fotos, Dokumenten und Gesprächen mit ihrer Großmutter behutsam an das Geschehen herantastet.

Wie ein Fächer entfalten sich die chronologischen Berichte, sparsam umrankt von Kommentaren aus der gegenwärtigen Rahmenhandlung.

Beide Großelternpaare agieren im Auftrag der Neuendettelsauer Mission in Papua-Neuguinea. Die Motive sind unterschiedlich: teil zufallsbedingt, teils um ihren engen Verhältnissen zu entfliehen und auch gelenkt durch die Oberen machen sie sich auf in eine gänzlich fremde Welt, um dort den „Wilden die Frohe Botschaft zu bringen und diese zu zivilisieren“. Das sollte den Horizont der Entsandten weiten, aber leider transferieren sie die zeit- und religionsbedingte Engstirnigkeit auf die vorgefundenen Verhältnisse, die sie nach „gutem deutschen Vorbild“ umzuformen versuchen – mit gemischtem Erfolg, aber eindeutig verbunden mit viel Leid für alle Beteiligten. Anfangs habe ich das noch mit Humor konsumiert, denn man kennt ja die Weltanschauung dieser Epoche.

Wie sich aber nach und nach aus den zuerst paternalistischen Überlegenheitsgefühlen der Deutschen nationalsozialistisches Gedankengut und die damit verbundene Lebenspraxis herauskristallisiert, schildert die Autorin in einer unausweichlichen Logik und Konsequenz, die einem schier den Atem raubt. Das bittere Ende ist jedem Geschichtsinteressierten aus heutiger Sicht bekannt, aber dieses aus Einzelschicksalen derart prägnant dargestellt zu sehen, macht einem die globale Historie greifbar.

Jede einzelne Figur ist authentisch, die Episoden signifikant und glaubwürdig, doch aufgrund ihrer Fülle muss man sich als Leser konzentrieren: ich habe immer wieder zurückgeblättert, um die Zusammenhänge zu begreifen, z.B. des mit Zumajan verknüpften Handlungsstrangs. Dabei hätte mir statt des Familienstammbaums ein erweitertes Personenregister geholfen.

Faszinierend finde ich, wie sich weitab von Europa die aufkommenden nationalen Feindschaften gerade auch in den Kolonialgebieten spiegeln. Kein Thema lässt Döbler aus: dass die wirtschaftliche Ausbeutung der Native People gar nicht funktionieren würde ohne die spirituelle Unterstützung der Missionare, die perverse Sexualmoral verbunden mit menschenverachtendem Rassismus, das unaufhaltsame Hinübergleiten in den Nationalsozialismus, das grausame Ende und schließlich die Auswirkungen auf die nachfolgenden Generationen.

Darüber habe ich auch schon anderswo gelesen, aber selten mit einer derartig klaren Empathie, die sich nicht aus sprachlichen Fisimatenten speist, sondern schlicht aus den offenkundigen Fakten. Ich habe starke Erkenntnisse aus diesem Buch gezogen und lese bestimmt noch mehr von dieser Schriftstellerin.