Intensiv und nachhallend

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sunnyju Avatar

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„Dein Schweigen, Vater“ ist das erste Buch, das ich über die Vertreibung der Deutschen gelesen habe und ich muss sagen, es hat mich stellenweise sehr mitgenommen und aufgewühlt. Vielleicht noch zusätzlich, weil auch meine Großmutter eine Vertriebene ist und auch in unserer Familie darüber kaum gesprochen wurde. Der Autorin gelingt es einerseits nüchtern, andererseits unglaublich eindringlich zu schreiben. An manchen Stellen ist mir richtiggehend schlecht geworden, an anderen sind Tränen geflossen und zwischendrin war ich mir nicht sicher, ob ich überhaupt weiterlesen kann. Zu meiner Erleichterung teilt sich der Roman in zwei Teile, quasi unterschiedliche Zeitebenen und Generationen. Gerade, als ich es fast weglegen musste, kam der Zeitsprung und hat es mir erträglicher gemacht. Genau da liegt aber die Schwierigkeit, dieses Buch zu bewerten: über weite Strecke war es weder klassisch „schön zu lesen“ noch ging es mir gut dabei. Aber wie könnte es das auch, bei diesem Thema und bei so viel Leid. Insofern ist der Autorin eigentlich etwas Großes gelungen: sie hat mir dieses Kapitel der Geschichte näher gebracht, mit all seiner Heftigkeit, hat mich einen Teil der Intensität und des Schreckens spüren lassen, aber in einem Ausmaß, das ich gerade noch so in meine Alltagslesepausen einbauen konnte. Sicherlich kein leichtes Genussbuch für Strandliege und Sommerurlaub, aber eines, das bleibenden Eindruck hinterlässt.
Die zweite Hälfte des Buches war für mich leichter zu Lesen, obwohl ein Teil der Schwere bleibt. Manchmal hätte ich mir ein wenig mehr Einblick gewünscht in die Dynamik des Transgenerationalen, noch ein Stück über das „Päckchen werden weitergegeben“ hinaus. Aber wahrscheinlich liegt genau hier auch die Authentizität des Buches: dass Uli und Maria mehr einer Ahnung folgen und oft selbst nicht genau benennen können, warum sie so sind, wie sie sind. Entsprechend nähert sich der Leser dem auch langsam und begleitet die beiden ein Stück auf der Suche nach Antworten.
Es braucht Raum, dieses Buch zu lesen und ein bisschen Kraft, sich darauf einzulassen, das sollte einem vor dem Lesen klar sein. Aber dann erlebt man eine intensive Geschichte, die einen nicht unberührt lassen wird. Von mir eine Leseempfehlung.