Nachtfahrten und Nachtgedanken

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evaczyk Avatar

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Unterprivilegiert trotz Hochschulabschluss: Damani ist nach der Uni nicht in eine Karriere welcher Art auch immer eingestiegen (nach wie vor problematisch als Sozial- oder Geisteswissenschaftlerin), sondern fährt Taxi, Tag und Nacht. Ihre Mutter, bei der die bisexuelle Frau aus tamilischer Einwandererfamilie immer noch lebt, ist krank, der Vater hat sich buchstäblich zu Tode gearbeitet. Die Betreiber der Taxi-App, die Damani Fahrten vermittelt, beutet die Fahrer immer mehr aus.

Einige überlegen, sich zu organisieren und zu wehren. Damani findet das im Prinzip gut, aber tatsächlich hat sie nie Zeit. Wenn sie mal Freizeit hat, hängst sie mit Freunden in einem besetzten Industriegelände ab, das auch Zuflucht illegaler Einwanderer und Versuchsfeld für Zukunftsutopien ist, oder sie stemmt Gewichte - die perfekte Definition ihres Körpers ist für die junge Frau in Priya Guns Debütroman "Dein Taxi ist da" eine Art Ersatzreligion.

So rasant und atemlos wie Damanis Fahrten auf dem nächtlichen Highway ist auch die Erzählweise, episodenartig abgehackt wie die Fahrten eines Tages und die Fahrgäste, darunter einige Stammgäste wie die alte Miss Patrice, die für Damani so eine Art Ersatzoma ist, nur noch im Schneckentempo vorwärts kommt, sich aber einen scharfen Blick und wachen Verstand bewahrt hat.

Die Stadt, in der Damani fährt, ja das Land, bleibt in dem Roman offen. Die Anklänge erinnern an Trumps USA. Guns hat unter anderem in Kanada gelebt, lebt nun in London. Für Damani als queere Woman of Color in prekären Verhältnissen ist die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, sozialer Ungleichheit und kritischem Blick auf Heteronormativität eigentlich selbstverständlich, jedenfalls, wenn sie nicht ständig so müde wäre.

Und dann ist da noch Jolene, die Frau, die Damani einmal fast anfährt und deren blaue Augen sie seitdem nicht los lassen. Jolene verkörpert alles, was Damani nicht ist: weiß, privilegiert, wohlhabend. Die Attraktion ist gegenseitig, wobei sich Damani fragen muss, ob sie nicht bloß ein weiteres Acessoire in Jolenes perfekt gestylter diverser Welt zwischen Yoga, Buchclub und dem Strandhaus der Eltern ist. Jolene denkt politisch, bezeichnet sich als Sozialarbeiterin - doch einer bezahlten Arbeit scheint sie nicht nachzugehen. Die Sozialarbeit bezieht sich auf volunteering, zur großzügigen Finanzierung des chicen Lifestyle sind die gutsituierten Eltern zuständig. Damani sieht all das, doch die Anziehung Jolenes ist stärker. Vorübergehend scheint es, als könnten die beiden ungleichen Frauen einen Weg finden, doch dann kommt eine Situation, in der Jolenes Handlungen Damanis Welt erschüttern.

Die lakonischen Beobachtungen, aus der Ich-Perspektive Damanis geschildert, haben mir in diesem Buch gefallen. Die Ängste, die die Fahrerin gerade nachts begleiten, sind gut nachvollziehbar, der Spagat zwischen Liebe und Pflichtgefühl einerseits und Unabhängigkeitsstreben und Selbstverwirklichung andererseits sehr glaubwürdig. Jolene bleibt dabei eine eher schwache, schablonenhafte Figur, es ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar, dass die Frauen eine Beziehung zueinander finden, die über körperliche Anziehungskraft hinausgeht - was die spätere Besessenheit, Jolene die eigene Sichtweise klar zu machen, merkwürdig erscheinen lässt. Ich hätte mir das Buch politischer gewünscht, interessant ist es allemal, auch wenn es am Ende schwächelt.