Sozialkritik im Krimigewand

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wolfgangb Avatar

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Eine betagte Dame wird ermordet in ihrer Wohnung aufgefunden, geschmückt mit Äpfeln und Weintrauben. Offensichtlich will der Mörder mit dieser Symbolik der Erlösung auf das Los alter Menschen in der Gesellschaft hinweisen, wie er auch in einem Bekennerschreiben an die Polizei offenbart. Die Putzfrau Elena, die wertvolle Hinweise auf den Täter geben könnte, ist verschwunden, und als ein zweiter Mord geschieht, steigt der Druck auf Kommissar Tino Dühnfort, dem interne Ermittlungen nach einer aus dem Ruder gelaufenen Vernehmung pesönlich zusetzen ...

In knapp 90 Kapiteln erzählt die Münchener Autorin Inge Löhnig in auktorialer Perspektive ihren neuen Roman "Deiner Seele Grab". Obwohl natürlich Komissar Tino Dühnfort als leitender Ermittler die Hauptfigur darstellt, ermöglicht es diese Wahl dennoch, mehrere Personen zu verfolgen, ohne einzelne zu bevorzugen. So läßt sich das Werk auch als Teil einer mittlerweile fortgeschrittenen Serie einordnen, indem bereits eingeführte Figuren wie Dühnforts Partnerin durch die Ausleuchtung des privaten Hintergrundes weiter charakterisiert werden.

Wieder einmal stellt Inge Löhnig ihr Talent, den Figuren, Orten und Situationen ihrer Romane Leben einzuhauchen, unter Beweis. Beiläufig wehen Gerüche vorbei, ist entfernt der Verkehrslärm zu vernehmen, wird die Bühne anhand von Sinneswahrnehmungen dekoriert, auf der die Charaktere miteinander in Kontakt treten. Beeindruckend präzise wird das Mienenspiel, die Bewegung jeder Augenbraue und jedes unbewußte Zucken der Munwinkel beschrieben, wenn zwei Figuren einander in einer Bar begegnen. Beklemmend authentisch als ein Brennspiegel der Emotionen durchsetzt vom Geruch von Desinfektionsmitteln, Kaffee und nassen Mänteln charakterisiert sie die Atmosphäre im Gang eines Krankenhauses. Auch, wenn der Leser durch die anhand von Gaststätten, Geschäften und Sehenswürdigkeiten beschriebene Münchener Innenstadt geführt wird, gerät die Handlung niemals aus dem Blickfeld, die Autorin ist sich stets bewußt, keinen Reiseführer der Beliebigkeiten zu verfassen.



Wie gehen wir mit alten Menschen um? Wird ihre Lebens- und Berufserfahrung geschätzt, oder werden sie als bloße Kostenfaktoren im Sozialsystem betrachtet? Wer trägt steigende Pflegekosten bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen?
Inge Löhnig spricht in ihrem Roman ein brandaktuelles Thema an, mit dem sich auseinanderzusetzen unsere Gesellschaft gezwungen ist. In regelmäßigen Abständen ist in den Nachrichten vom immer schwieriger zu erfüllenden Generationenvertrag die Rede. Für die Bedürfnisse älterer Mennschen ausgebildetes medizinisches Personal ist rar, das Geschäft mit oft nicht ordnungsgemäß angemeldeten Kräften aus Osteuropa ist zu einem rasant wachsenden Markt geworden und weist überdeutlich auf Versäumnisse in der Gesetzgebung hin. In diesem Spannungsfeld entwirft Löhnig ihre Geschichte vom mordenden Samariter. Die Entscheidungen ihrer Figuren werden vom Diktat der Notwendigkeit bestimmt, die resultierenden Situationen wirken wie unmittelbar aus der Nachbarschaft abgeschrieben.

Und woran bemißt sich der Wert eines Menschen? An seiner Erwerbsfähigkeit? An der Größe des möglichen Erbes, das er beim Ableben hinterlassen wird? Geschickt demonstriert die Autorin anhand eines an Alzheimer erkrankten Mannes die Gier, der seine Erben erliegen. Die Situation, daß das Vermögen sukzessive schrumpft, um eine adäquate Betreuung finanzieren zu können und die eigene finanzielle Situation immer angespannter wird, erweist sich als ein charakterlicher Prüfstein, an dem Inge Löhnigs Figuren zu messen sind.


Fazit:
Mit dem sechsten Fall für Tino Dühnfort gelingt es der Autorin einerseits, die Geschichte um ihren sympathischen Kommissar fortzusetzen, andererseits der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, ohne moralisierend zu dozieren. Und als kleines Gustostück bietet sie mit der Auflösung der Morde eine Hommage an eines der beliebtesten Stücke von Agatha Christie.