Dickens in den Südstaaten

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throughmistymarches Avatar

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Barbara Kingsolvers „Demon Copperhead” hat viele renommierte Auszeichnungen gewonnen, u.a. den Pulitzer Prize. Der Roman ist ein Coming-of-Age Roman und wird aus der Perspektive von Damon Fields, Spitzname Demon Copperhead, erzählt. Der Sohn einer alleinerziehenden Teenie-Mom wächst in einem Trailerpark in den Appalachen in Virginia auf. Die kleine Familie lebt zwar in Armut, aber doch liebevoll zusammen mit gutem Draht zu den Nachbarn. Als die Mom heiratet, ändert sich alles. Nach ihrem frühen Tod wird er von Pflegestelle zu Pflegestelle gereicht. Zu Armut gesellen sich Gewalt und Drogen. Aber immer ist da, wenn auch phasenweise unterdrückt, Demons Kreativität, mit der er das Schlimme, das ihm widerfährt, verarbeitet.
Wer beim Namen des Titelhelden noch nicht stutzig wurde, wird es vielleicht beim Klappentext: der Inhalt des Romans ist stark an Charles Dickens‘ „David Copperfield“ angelegt.
David Copperfield ist einer meiner Lieblingsklassiker, deshalb war Demon Copperhead ein Must-Read. Kingsolver hat sich einiges vorgenommen und das zum Großteil umsetzen können. Die Figuren, die Art und Weise, wie sie an die viktorianischen Vorbilder angelegt sind, ihre Geschichten und Handlungsstränge in die amerikanischen Südstaaten Ende unserer heutigen Zeit verlegt wurden, ist super akribisch und gelungen. Allerdings fehlte mir die Leichtigkeit, die Dickens trotz der schweren Themen, die er in seinem Bildungsroman aufarbeitet, mit eingewoben hat. Die typische Skurrilität und Liebenswürdigkeit der dickensischen Figuren kann Kingsolver nicht erschaffen. Humor blitzt zwar auch bei Demon immer wieder durch, aber er wirkt ob der schlimmen Gesamtsituation sehr schwarz. Man fühlt sich irgendwie gefangen in einem Strudel voller Ungerechtigkeiten; Hoffnung, so typisch für Dickens, kommt bei Kingsolver selten durch. Deshalb kann ich gut verstehen, dass viele dem Roman „poverty porn“ unterstellen.
Der Sprecher des Hörbuchs, der Schauspieler Fabian Busch, konnte mich leider auch nicht zu 100% überzeugen, wirkte er doch meist emotionslos.
Kingsolver hatte sich viel vorgenommen, heftige Themen präsentiert, aber nicht ganz das Herz des Originals erreicht. 3,5 Sterne.