Sehr tiefgründiger und aufwühlender Roman

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MEINE MEINUNG
Mit seinem neuen Buch „Den Wölfen zum Fraß“ hat der britische Autor Patrick McGuinness einen fesselnden und äußerst tiefgründigen Roman vorgelegt, der mit seiner einzigartigen Atmosphäre, scharfsichtigen gesellschaftlichen Analyse und beklemmenden Einblicken in die Abgründe der menschlichen Seele sehr viel mehr als ein reiner Kriminalroman ist.
Ein bemerkenswertes Meisterstück in meinen Augen – auch wenn der anspruchsvolle, sprachgewaltige und detailverliebte Erzählstil mir einiges an Aufmerksamkeit und Konzentration abgefordert hat, und ich erst eine Weile brauchte, um in der Geschichte anzukommen.
Der Kriminalfall basiert übrigens auf wahren Begebenheiten und greift den Mord an der 25-jährigen Joanna Yeats und die umfangreichen polizeilichen Ermittlungen rund um den ehemaligen Lehrer von Patrick McGuinness im Jahre 2010 auf.
Bereits der faszinierende Einstieg mit atmosphärisch dichten Beschreibungen des außergewöhnlichen Schauplatzes baut eine düstere, unheilvolle Spannung auf. Auch die prägnante, humorvolle Charakterisierung der Akteure konnte mich auf Anhieb fesseln.
McGuinness versteht es hervorragend, Stimmungen und Bilder mit viel Feingefühl, großer Eindringlichkeit und aus einer originellen Perspektive einzufangen und anschaulich zu beschreiben.
Es entspinnt sich eine facettenreiche, bisweilen ausschweifend erzählte Geschichte mit unterschiedlichen Blickwinkeln, bizarren Beobachtungen und losen Zusammenhängen, die wir aus der Ich-Perspektive des ermittelnden Detective Ander erleben.
Angelegt ist die Handlung auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen: Zum einen verfolgen wir den Fortgang der aktuellen Mordermittlungen und zum anderen erhalten wir in Rückblenden erschütternde Einblicke in Anders Erinnerungen an seine Schulzeit auf einem englischen Elite College in den 1980ger Jahren.
Im Mittelpunkt des Krimis stehen die beiden sehr unterschiedlichen Polizisten Ander und Gary, die mit den Ermittlungen zum Mord an der jungen Zalie Dyer befasst sind. Sehr fesselnd ist es mit zu verfolgen, wie die zwei die Vernehmungen des verhafteten Haupttatverdächtigen, dem pensionierten Lehrer Michael Wolphram führen und beharrlich ihre Nachforschungen trotz etlicher Widerstände vorantreiben. Trotz ihrer völlig gegensätzlichen Charaktere harmonieren sie hervorragend zusammen und ergänzen einander, so dass es ihnen schließlich in akribischer Kleinarbeit gelingt, die richtigen Verbindungen zu ziehen und den Mordfall aufzuklären.
Dem versierten Autor gelingt es sehr überzeugend, die beiden zunächst nicht zusammenhängenden Handlungsstränge allmählich miteinander zu verknüpfen, Hintergründe und Verbindungen allmählich immer deutlicher zu Tage treten zu lassen und aus den verschiedenen Puzzlesteinchen schließlich ein erschütterndes Gesamtbild zu präsentieren.
Geschickt führt uns der Autor die Folgen von Social Media-Auswüchsen, Sensationsgeilheit und die Macht der Medien in der Beeinflussung der öffentlichen Meinung vor Augen. Omnipräsente Medienberichterstattung, die weniger an guter Recherche und der Wahrheit als an Aufmerksamkeit und hohen Klickzahlen interessiert ist, befeuert bewusst mit immer neuen Verleumdungen durch ehemalige Kollegen, Schüler und Nachbarn eine gnadenlose Hetzkampagne gegen den Tatverdächtigen. Zudem enthüllt der Autor am Beispiel des scheuen, alleinstehenden und hochintellektuellen pensionierten Englisch-Lehrers sehr anschaulich, wie leicht man als exzentrischer Außenseiter allein durch seine Andersartigkeit zum suspekten Sonderling, perfekten Opfer von haltlosen Vorverurteilungen und schließlich zum perversen Monster wird. Eine hochaktuelle Thematik, die angesichts der grausamen Mechanismen und Folgen von Denunziation aufrüttelt und sehr nachdenklich stimmt.
Auch die eindringlichen, verstörenden Einblicke in Anders harte Zeit an einer tyrannischen englischen Eliteschule, die beklemmenden Praktiken von willkürlicher Züchtigung und Entwürdigung von einigen Schülern durch sadistische Lehrer, gehen unter die Haut und offenbaren eine höchst verabscheuenswürdige Weltsicht der „Eliten“ geprägt von Rassismus, Standesdünkel und Arroganz.
Der Autor zeichnet seine beeindruckenden Charaktere sehr vielschichtig und glaubhaft. Dennoch habe ich sie aus einer gewissen Distanz heraus wahr genommen, was einen ungetrübten Blick und eine objektive Einschätzung der Geschehnisse erleichtert.
Sehr faszinierend beschreibt Patrick McGuinness die Zusammenarbeit und die amüsanten Schlagabtausche zwischen dem intellektuellen Uni-Absolventen Detective Ander, von allen stets mit Prof angesprochen, und seinem eher derben, taffen Kollegen Gary mit seiner höchst realistischen, zynischen Sicht auf die Dinge. Einen nachhaltigen Eindruck hat Ander mit seiner einfühlsamen, facettenreichen Persönlichkeit auf mich hinterlassen, seiner Entschlossenheit, aufgrund der belastenden Erlebnisse in der Vergangenheit, die Wahrheit herauszufinden und Mr. Wolphram Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

FAZIT
Ein fesselnder, sehr tiefgründiger und aufwühlender Roman mit einem anspruchsvollen Schreibstil, in den man erst hineinfinden muss!
Ein lesenswertes Meisterstück mit beklemmenden Einblicken in die Abgründe der menschlichen Seele und prägnanter Gesellschaftskritik!