Bewegend und erschütternd

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klaus_bücherfan Avatar

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Édouard Louis widmet sich in „Der Absturz“ dem Leben und Sterben seines Bruders, der mit 38 Jahren einsam in seiner Wohnung stirbt. Es ist ein ungewöhnliches, zutiefst ehrliches Buch – nicht zuletzt, weil Louis gleich zu Beginn festhält, dass ihn der Tod seines Bruders nicht berührt habe. Diese schonungslose Offenheit mag irritieren, doch sie zeugt von Mut: Louis beschreibt, was man normalerweise verschweigt, und öffnet damit den Raum für eine andere, unerwartete Form von Trauerliteratur.

Der Roman ist sprachlich gelungen, knapp und präzise, ohne an Intensität zu verlieren. Die Episodenhaftigkeit des Erzählens macht die Geschichte eindringlich: Träume, die nicht verwirklicht wurden, Chancen, die sich nie eröffneten. Besonders erschreckend ist die Dysfunktionalität der Familie, die wie ein ständiger Schatten über dem Leben des Bruders liegt. Zwar war sein Lebensweg durch Herkunft und Milieu ohnehin von begrenzten Perspektiven geprägt, doch Louis zeigt schonungslos, wie die Eltern – beide auf unterschiedliche Weise – ihren Sohn zusätzlich in das Unglück trieben.

So entsteht auf 220 Seiten das Bild eines Menschen, der nicht einfach „scheitert“, sondern von den Strukturen um ihn herum, von gesellschaftlichen wie familiären Umständen, Schritt für Schritt zerstört wird. Das macht „Der Absturz“ zu einer ebenso erschütternden wie wichtigen Lektüre: Es ist ein Buch über Klassenschicksale, über familiäre Gewalt und über das Recht, auch gegen die Erwartungen der Gesellschaft zu sprechen.

Das Cover finde ich sehr gelungen! Es zeigt Dynamik und Bedrohung zugleich.