Das Leben eines Bruders und der Tod, eine Analyse und noch viel mehr

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sofiewalden Avatar

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Édouard Louis, er möchte es aufschreiben, das Leben seines Bruders, das schon sehr früh ein langsames Sterben war. Louis kannte seinen Bruder kaum und als er von seiner Mutter erfährt, dass dieser wieder einmal im Krankenhaus liegt, es aber diesmal nicht mehr schaffen wird, reist er an, ohne wirkliche Emotionen, um zu unterstützen und die Beerdigung zu organisieren.
Damit sollte es für ihn abgeschlossen sein. Doch, obwohl ohne Bindung zu dem Verstorbenen, beschließt der Autor, seinen in diesem Buch namenlosen Halbbruder, nicht so gehenzulassen. Auch von ihm soll etwas bleiben, nicht ohne jede Spur vergangen sein.
Und so beginnt er, ihn kennenzulernen, nicht nur die bekannten Fakten, die Umrisse seines Lebens, die es schwer gemacht haben, eine Chance zu haben, auf mehr. Denn das war immer das Bestreben dieses Mannes. Noch bevor er mit etwas angefangen hatte, wollte er mehr, der Beste sein, groß anerkannt, kein Handwerker, ein Künstler. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie, ohne menschliche Anteilnahme, ohne Unterstützung, driftet er schon bald in eine Welt von Alkohol und Drogen ab. Er begeht Straftaten. Und immer wieder sucht er den Neuanfang, ohne es wirklich zu tun. Das steht auf seinem Blatt 'Leben'. Aber der Bruder fragt auch nach dem Dahinter. Eigentlich sucht er es nicht, er findet es, mehr überrascht und sich des Menschen immer mehr bewusst werdend. Und all das, was er auf dieser 'Entdeckungsreise' erfahren hat, er schreibt es auf, nüchtern, fokussiert, nicht lamentierend, nicht abschweifend, keine Ausflüchte. Aber er nimmt auch die Menschlichkeit, das Liebenswerte darin auf und das alles macht auch etwas mit ihm selbst. Er reflektiert, schaut auf sich selbst, Gedanken kommen auf. Und es entsteht Nähe.
Der Schreibstil, grandios, feinfühlig, fast poetisch und so wirkt das Sachliche nicht kalt, sondern einfach nur richtig und genau passend, um das darzulegen und an uns Leser weiterzugeben, was der Autor vorhatte zu tun. Daraus geworden ist mehr. Mehr als die Bestandsaufnahme eines Lebens, das einfach so war. Auch der Autor selbst ist dabei gewachsen, an Bewusstsein, an dem Zulassen der Auseinandersetzung mit sich selbst und am Nachdenken über Dinge, die bisher wenig Beachtung bei ihm gefunden hatten.
Und wir Leser, wir begleiten ihn dabei, mit ganz viel Nachhall für uns selbst.
Ein absolut grandioses Buch, sehr berührend, sehr besonders und einfach außerordentlich.