Schwacher Reihenauftakt

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Auf die Lektüre des Romans habe ich mich sehr gefreut. Der Klappentext versprach spannende & anspruchsvolle Unterhaltung. Im Roman „Der andere Sohn“ gibt es zwei verschiedene Handlungsstränge & zwei Zeitebenen – 2009 und 2019, jedoch wenige Zeitsprünge oder Rückblenden.

Baltimore, 2019: Als der FBI-Agent John Adderly nach einem vermasselten Undercovereinsatz untertauchen muss, entscheidet er sich ausgerechnet für seine alte Heimat – Karlstad in Schweden.
Im Jahre 2009 verschwand Emelie Bjurwall, Unternehmer- Tochter und Erbin des schwedischen „AckWe“-Konzerns spurlos. Gefunden wurde lediglich ihr Blut und die DNA von Johns Halbbruder, Billy. Zehn Jahr später möchte John den ungelösten Fall endlich aufklären: Ist Billy wirklich der Mörder?

Die Exposition war unheimlich spannend!
John leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung; er ist eigentlich ein interessanter Protagonist. Ich finde es auch toll, dass die Handlung nicht in Stockholm angesiedelt ist. Immer wieder ist vom „varmländischen Dialekt“ die Rede. Man kann den Roman flott lesen. Die Figurenkonstellation ist für Vielleser wahrscheinlich nicht überraschend – die problematische schwedische Bourgeoisie kennt man schon aus den Romanen von Stieg Larsson oder Henning Mankell. Die toughe Geschäftsfrau, die mit dem Softie – Ehemann liiert ist, ist leider auch nichts Neues. Die schwedische „Unterschicht“ steht im Krimi in krassem Kontrast zu den Großindustriellen. Der Grundgedanke des Romans rund um John gefiel mir wirklich gut, meines Erachtens ließ die Ausarbeitung jedoch stark zu wünschen übrig – Der Handlungsverlauf war für mich völlig vorhersehbar, die Figuren leider (!) erschreckend flach: John verhält sich für einen blitzgescheiten FBI-Agenten oft ziemlich unklug, überhaupt ist die Beschreibung der Charaktere im Roman ziemlich klischeehaft & eindimensional: „[…] die berüchtigte Anwältin […] hatte große dunkle Augen. Er nahm an, dass sie oder ihre Verwandten vom Balkan stammten.“
Manche Passagen lesen sich wie Szenen aus einem schlechten Achtziger-Jahre-Film: „Dann ließ sie das Oberteil zur Taille hinabfallen. […] Sie hatten sich beide hemmungslos verausgabt […].“ Oft verhalten sich die Protagonisten nicht wie normale Menschen. Das fand ich schade. In einem guten Thriller sollten weder der plot noch die Figuren konstruiert wirken. Im Verlauf der Geschichte gelingt es den Autoren nicht, eine spannungsgeladene Atmosphäre zu evozieren. Die Erzählweise ist linear, der Roman endet mit einem Cliffhanger, der Protagonist denkt bzw. sagt das für den aufmerksamen Leser/ die aufmerksame Leserin Offensichtliche, das fand ich richtig ärgerlich. Insgesamt fehlt es einfach an Raffinesse.

Fazit:

„Der andere Sohn“ ist ein schwacher Reihenauftakt, daher kann ich leider nur zweieinhalb von insgesamt fünf möglichen Sternen vergeben. Aus dem Stoff hätten die Autoren mit adäquaten erzählerischen Mitteln viel mehr machen können. Es kann eigentlich nur besser werden – ich hoffe auf mehr „Feintuning“ in Band zwei, da ich trotz aller Kritikpunkte neugierig auf Johns nächsten Fall bin.