Tausendundeine Moschee

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marapaya Avatar

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Nächstes Reiseziel: Istanbul! Auch wenn es Elif Shafaks Istanbul aus dem 16. Jahrhundert nicht mehr in seiner Ursprünglichkeit zu entdecken gibt, so kann ich dennoch auf den historischen und vor allem architektonischen Spuren wandeln und mich in die Welt von Jahan und seinem weißen Elefanten Chota hinein träumen. Anfangs erschien mir Shafaks Erzählstil zu einfach gehalten, scheinbar angelehnt an den klassischen orientalischen Märchenstil aus Tausendundeiner Nacht. Originell ist doch anders, maße ich mir als verwöhnter Leser an zu denken und lese kritisch weiter die Geschichte um den armen Jungen Jahan, den es als Mahut (Elefantenführer) an den Hof des Sultans von Istanbul verschlägt. Der Vater früh verstorben, die Mutter an den gewalttätigen Onkeln verloren, kehrt er seiner Familie den Rücken und sucht in der Fremde das Glück. Das großzügige Geschenk des persischen Schahs an den osmanischen Sultan wird schließlich Jahans bester Freund und Gefährte. Der junge weiße Elefant und der verwaiste Dorfjunge werden vom Schicksal zusammengeführt und finden in der Metropole Istanbul ein neues Zuhause. Jahan steigt schließlich sogar auf und wird ein Schüler des berühmten Architekten Sinan, der in seiner äußerst langen und tätigen Lebensspanne über 300 beeindruckende Bauten für mindestens drei Generationen Sultane entstehen ließ.
Intrigen, unerfüllte Liebe, Verrat, Neid und Missgunst, Glück, Wissenschaft, Wachstum, Kriege, Seuchen und Katastrophen suchen Jahan und Istanbul auf den über 600 Seiten von Elif Shafaks historischem Roman heim. Und ich beginne bereits im ersten Drittel zu verstehen, dass dieses Buch genau diesen traditionellen Erzählton braucht. Wie solle sich sonst der Zauber glaubhaft entfalten können? Denn für Istanbul im 16. Jahrhundert gehört der Sultanspalast mit seinem Harem und der Tiermenagerie zum Alltag. Der Sultan nimmt nie an öffentlichen Banketten teil, isst allein, um seine Herrlichkeit nicht mit solch profanen Dingen abzuwerten. Er führt Kriege, um die Staatskassen aufzufüllen und prächtige Mosche und setzt mit vielen Frauen eigene Söhne in die Welt. Seine mächtigen Berater entscheiden über das Wohl oder den Niedergang Einzelner wie Vieler. Die Stadt ist ein wahrer Schmelztiegel. Verschiedenste Nationen und Glaubensrichtungen finden in ihr ein Zuhause und in regelmäßigen Abständen kocht der Tiegel über, dezimiert durch hausgemachte Katastrophen seine Einwohnerzahl.Und vergisst das Unglück genauso schnell, wie es über die Stadt hereinbrach. Und dann und wann reitet der erhabene Sultan auf einem weißen Elefanten durch die Stadt.
Für mich war es das erste Buch, welches ich von der Autorin lesen durfte und ich bin nun sehr neugierig auf ihre anderen Romane. Jahan und Chota begleiten mich auch nach Abschluss der Lektüre noch durch meine Tagträume und ich nehme Sakralbauten in meiner Umgebung plötzlich wieder sehr viel bewusster wahr. Ekif Shafak versteht es zu erzählen und reißt mich als skeptischen Viel-Leser selbst mit vermeintlich einfachen Erzählstilen ganz und gar mit. Auf nach Istanbul.