Zeitpanorama aus 1001 Nacht

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1632, der mittlerweile greise ehemalige Elefantenführer des türkischen Sultans und Architekturschüler Jahan erinnert sich.
Er reist in Gedanken zurück ins Jahr 1574 nach Istanbul. Sultan Selim, auch "der Trunkenbold" genannt, ist durch einen Sturz gestorben. Nun besteigt sein Sohn Murad den Thron und lässt, als erste Amtshandlung sozusagen, erst einmal alle seine Brüder ermorden. Auch eine Methode, mögliche Konkurrenz von vorne herein auszuschließen. Und nur eine der unzähligen Intrigen, Verbrechen, Komplotte, denen wir im Verlauf des Buches folgen werden.
Jahan ist zu der Zeit Schüler des Hofarchitekten Sinan, eines Mannes, der nicht nur ein biblisches Alter von 98 Jahren erreichen sollte, sondern auch unzählige wunderbare Bauwerke hinterlassen sollte. Er und viele andere Personen des Romans sind historisch real und Elif Shafak hat ihm und der Architektur mit ihrem Roman auch eine Art Hommage geschrieben. So besetzen die Bauwerke und ihr Baumeister, von Jahan zutiefst verehrt, auch zentrale Plätze im Buch. Dabei werden aber durchaus auch Schattenseiten, wie zum Beispiel die politische Gleichgültigkeit Sinans oder seine Akzeptanz von Sklaven als Bauarbeitern, beleuchtet. Insgesamt ist aber Sinan die zentrale Lichtgestalt in der Geschichte. Und da ist noch die Prinzessin Mihrimah, Tochter von Süleyman dem Prächtigen, mit der Jahan eine lebenslange, natürlich unerfüllte Liebe verbindet.
Auf seiner Erinnerungsreise dringt Jahan aber noch tiefer, bis in seine Kindheit und Jugend, in der er eher zufällig vom Waisen und kleinen Gelegenheitsdieb zum Elefantenführer des Sultans auf nicht ganz saubere Weise "aufsteigt".
Damit umfasst der Roman eine Zeitspanne von fast einhundert Jahren. Und Elif Shafak erzählt diese Zeit in einer farbigen, sinnlichen und detailreichen Weise, mit viel 1001 Nacht, gliedert sie in "Vor", mit und "Nach dem Meister" und benennt damit auch das eigentliche Zentrum. Der Schüler Jahan ist zwar der Erzähler, dient aber mehr oder weniger nur als Chronist. Auch wenn er immer im Vordergrund steht, ist seine Lebensgeschichte eigentlich sekundär. Elif Shafak legt mehr Wert auf die Zeitumstände, das Zeitkolorit, die Baukunst, als auf ihre Personen, die deshalb trotz aller Details irgendwie blass bleiben.
Sie vermag es dagegen wunderbar, fiktive mit realen historischen Personen zusammen zu bringen und ein buntes Zeitpanorama zu schaffen.
Darüber hinaus bietet ihr Roman aber eher wenig. Erst gegen Ende erhält das Ganze etwas mehr gedankliche Tiefe.
Verglichen mit Elif Shafaks anderen Texten, war mir das aber zu wenig. Deshalb blieb trotz allem Lesevergnügen und aller stilistischen und erzählerischen Meisterschaft der Autorin eine gewisse Enttäuschung.
Erwähnt werden sollte aber auf jeden Fall die sehr schöne Aufmachung der Romane Elif Shafaks im Kein und Aber Verlag. Die ist auf jeden Fall fünf Sterne Wert!