Ein Cocktail zum Genießen

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„In diesem Krieg, der mittlerweile Frieden heißt, fühlt Frank Meier sich zwischen zwei Welten hin und her geworfen, die nebeneinander existieren und sich nie begegnen: der Welt drinnen, im Ritz, mit ihrem Überfluss, ihrem Komfort und ihren Raubtieren, und der Welt draußen, einer Welt des Hungers, der Kälte und der Erniedrigung.“

Frank Meier ist das Leben als Barkeeper in Fleisch und Blut übergegangen. Während rund um ihn die Welt im Chaos versinkt, verharrt er eisern hinter dem Tresen, mixt seine Drinks und unterhält die Gäste, selbst wenn diese sich gravierend ändern. Die Pariser Elite wird durch deutsche Soldaten ersetzt, das lockere Geplänkel von Zensur und Unbehagen überschattet. Gegen alle Widrigkeiten steuert die Belegschaft des Ritz‘ durch die unsicheren Zeiten. Die Zukunft ist unklar, ebenso die Dauer der deutschen Besatzung. Ist es angebracht, den momentanen Siegern zu schmeicheln oder sollte der Nationalismus aufrechterhalten werden? Wie weit dürfen rebellische Gedanken zugelassen werden, ohne verbotenes Terrain zu betreten? Ist es angebracht, Werke von Scott Fitzgerarld zu verbreiten und wie weit ist den Arbeitskolleginnen und Kollegen zu trauen? Wie weit geht Loyalität und wann beginnen Gerüchte Leben zu zerstören?

Die Situation in ganz Frankreich beschäftigt auch die Belegschaft des Ritz‘, aber die Fassade bleibt bestehen. Mit kühler Feder beschreibt Philippe Collin die Gedanken und Gefühle von Frank Meier, der durch den emotional zurückhaltenden Schreibstil geradezu greifbar nahe scheint. Immer ermöglichen Kapitel in Tagebuchform einen Blick hinter die gefasste Fassade des Barkeepers, zeigen die Ängste und Emotionen, die in seinem Job keinen Platz haben. Trotz der zurückhaltenden, beschreibenden Art, die hervorragend zu diesem Protagonisten passt, gelingt es dem Autor, einen enormen Spannungsbogen aufzubauen. Das Mitfiebern mit einzelnen Personen ist zwar gelegentlich schwierig, aber der stetig wachsende Druck auf das Ritz und auf Frank Meier erzeugen eine enorme Anspannung, die das Tempo der Geschichte vorantreiben. Mit fortschreitendem Krieg wird die Lage immer angespannter, die Luft immer dünner und Franks geheime, jüdische Abspannung ziehen die Schlinge um ihn immer fester, während die Tage des Krieges gezählt sind.

„Das gesamte Land galoppierte Richtung Zukunft, die auf jeden Fall strahlend und sonnig sein würde. Niemand in New York oder in Paris konnte am Horizont die Wälder von Verdun erahnen, die bald verwüstet wären, niemand konnte sich vorstellen, dass die westlichen Nationen einander im Nebel und im Schlamm der Ardennen grausam abschlachten würden.“

Der Barmann des Ritz ist ein faszinierendes Buch, das einen, für mich, völlig neuen Blickwinkel auf die Zeit des 2. WK wirft. Dieser Konflikt, in dem Frank Meier steckt, hat mich fasziniert. Von außen betrachtet, lebt er ein wahrlich luxuriöses Leben, während andere an der Front sterben, auf der Straße leben oder in Kontentrationslager gesteckt werden. Aber auch an ihm geht der Krieg nicht narbenlos vorbei. Die stetige Angst vor der Entdeckung seiner wahren Abstammung, der Spagat zwischen dem Alten und dem Neuen, der Zwispalt zwischen Liebe und Pflicht. Frank Meier hatte nicht das schlimmste Schicksal und hat durchaus vom Krieg profitiert, aber er hatte auch seine Schattenseiten für ihn, die in dessen heiteren Fassade keinen Platz haben dürfen.

Dieses Buch ist eine klare Leseempfehlung für alle, die gerne in vergangenen Zeiten verschwinden. Es ist keine Unterhaltungslektüre sondern beleuchtet das schillernde Leben des Ritz zu einer Zeit, in der jeder neue Morgen mit großen Unsicherheiten verbunden war, in der jedes Gespräch das Letzte gewesen sein könnte, in der dennoch der Schein bewahrt werden sollte, um die Dunkelheit, die die Welt befallen hat, wegtrinken zu können.

Im Vergleich zu meinem letzten historischen Roman, Abgrund von Robert Harris, bediente sich der Autor dieses Werkes einer vollkommen anderen Erzählstruktur und Sprache. Für die Geschichte, die sie erzählt, ist sie ideal und ein absoluter Lesegenuss.

"Die kursiv geschriebenen Teile stammen direkt aus dem Buch."