Beflügelt die Fantasie!

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riedenadine Avatar

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Es geht in diesem Buch vorrangig um zwei Männer: Peter Manyweathers und Dove Gale, beide getrennt durch mehrere Jahrzehnte, denn
Peter Manyweathers lebt um 1983, in New York, und seine Tage bestehen zu einem großen Teil aus Dreck, er leitet nämlich die Reinigungsfirma Eisvogel und kümmert sich um die wirklich harten Fälle: Wohnungen, deren Eigentümer vielleicht schon mehrere Jahre tot und unentdeckt dort lagen, oder Wohnungen, die zwangsgeräumt und für einen neuen Verkauf gesäubert werden müssen, und wie man sich denken kann, hinterlassen Menschen, die man gewaltsam oder tot aus ihrer Wohnung befördert hat, die Wohnung selten in einem ordentlichen Zustand, es gibt für Peter Manyweathers also genug zu tun.
So außergewöhnlich sein Beruf auch klingt, so langweilig, einsam, trist ist sein Leben. Bis er eines Tages durch Zufall in der Bibliothek einen alten Brief mit einer Liste höchst seltener Blumen in die Hände bekommt und sich kurz darauf in die weite Welt hinaus begibt, um eben diese Blumen zu suchen. Man denkt jetzt vielleicht: „Das ist doch übertrieben, jemand, der ein stinknormales Leben führt, reist doch nicht auf einmal für ein paar Blumen um die ganze Welt“ – aber nein, David Whitehouse, der Autor, lässt alles in diesem Buch stimmig erscheinen und macht auf seine Weise auch Mut, ein Leben – und sei es noch so lang schon gelebt, wie es halt gelebt wurde, jederzeit ändern zu können. Wer sagt, dass Peter Manyweathers diesem seinem grauen Dasein nicht einfach entkommen könnte? Jedenfalls: Er tut es, und was er auf diesen Reisen erlebt, ist spektakulär, verblüffend und herzergreifend (steht auch hinten auf dem Buch, wie auf so vielen Büchern, nur, dass es hier auch tatsächlich mal stimmt).

Der andere Mann, Dove Gale, ist 30, alleinstehend, pleite und ein Waisenkind. Er arbeitet beim Londoner Rettungsdienst, wo er Notrufe entgegennimmt, aber auch sein Leben ist gekennzeichnet von Einsamkeit und einer von ihm subjektiv empfundenen Bedeutungslosigkeit. Und: Er wird von Kopfschmerzen geplagt, sonderbaren Kopfschmerzen, die mit plötzlichen Erinnerungsfetzen einhergehen, und die Erinnerungen, die ihm da regelmäßig in den Kopf schießen, sind eben die des Peter Manyweathers, und so begleitet er diesen – ungeachtet der zeitlichen Differenz ihres Daseins – auf den Reisen zu den Blumen. Ich muss zugeben, das klingt jetzt wirklich etwas abgefahren, aber es ist unglaublich spannend, auf diese Art die beiden unterschiedlichen Männer kennenzulernen und dabei im Hinterkopf zu haben, dass die beiden irgendetwas verbinden muss. Ich finde auch, dass nicht immer alles rational erklärt werden können muss, gerade Bücher sind doch dazu da, die Fantasie auf eine Reise zu schicken, und sei es auf eine Reise zu den seltensten Blumen der Erde.

Diese Reisen, auf die uns David Whitehouse mitnimmt, sind so spannend erzählt, dass man hinterher meint, selbst in China, auf Gibraltar oder in Sumatra und auf der Suche nach diesen außergewöhnlichen Pflanzen gewesen zu sein. Ohne, dass ich bisher je großes Interesse an Blumen hatte, hat es mich wirklich interessiert, was es mit diesen seltenen Exemplaren auf sich hat - ich habe alle nachgeschlagen (am meisten ist mir die schafsfressende Pflanze im Gedächtnis geblieben).

Aber es ist mehr als nur die Suche nach irgendwelchen Pflanzen aus irgendeinem Brief - es ist eine beinahe poetische, magische, märchenhafte Geschichte über Freundschaft, und über Liebe, und sie führt über die Grenzen von Vergangenheit und Gegenwart hinweg - eine Geschichte darüber, wo man herkommt, wohin man von dort aus gelangen und vor allem: dass das Leben jederzeit eine gänzlich neue Wendung nehmen kann. Ein Buch, dass man Frauen und Männern egal welchen Alters schenken kann.
Für mich war und ist „Der Blumensammler“ nahezu unvergleichlich in seiner Art und der Inbegriff dessen, was ein gutes Buch vermag: Es beflügelt die Fantasie, entführt in fremde, ferne Welten und lehrt einen das Leben!
Und das ist David Whitehouse, diesem wirklich begnadeten Geschichtenerzähler, zu verdanken, dem ich mit meiner oberflächlichen Rezension kaum gerecht werden kann – ich hoffe, es hat dennoch den ein oder anderen neugierig gemacht.