Ein Meisterwerk

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
fraedherike Avatar

Von

„Manchmal ist das wohl nicht zu verhindern, dass zwei Menschen nicht mehr im Gleichschritt gehen.“ (S. 174)

Auch vor der Liebe macht die Zeit nicht halt, man lebt sich auseinander und die Gewohnheit übernimmt im Alltag die Oberhand. Sind all die gemeinsamen Erlebnisse, die geteilten Emotionen nicht Grund genug, zusammenzubleiben? Rahel und Peter haben sich nach dreißig Jahren Ehe und zwei gemeinsamen Kindern allmählich, schleichend voneinander entfernt, emotional wie körperlich, und die Gefühle tanzen aufs Messers Schneide. Eine gemeinsame Auszeit fernab des Alltags soll Klarheit darüber verschaffen, wie es weitergehen soll, ob sie sich noch einmal annähern können. Drei Wochen verbringen sie auf dem alten Bauernhof einer Freundin, kümmern sich um die Tiere, um den Hof und – noch wichtiger – um ihre Beziehung zueinander: Sie lernen sich in neuen Rollen kennen, erfahren komplett exponiert vor dem jeweils anderen all die Wut und die Hilfslosigkeit, die sich über die vergangenen Jahre anstaute, sprechen Ungesagtes frei heraus und lassen die Hüllen fallen. Ob sie sich wieder zusammenraffen können?

Wieder einmal hat Daniela Krien es geschafft, mich mit ihren klugen, empathischen Worten und einer Fülle an Emotionen zu begeistern. In ihrem neuen Roman „Der Brand“ beschreibt sie mit feinfühliger Beobachtungsgabe selbst die feinsten Nuancen der Beziehung von Rahel und Peter, die durch die Beschreibung aus Rahels Sicht eine sehr klare, getroffene und fragende Tonalität erhalten. Es ist interessant zu beobachten, wie sie miteinander agieren, wie aus dem Schatten des Unwissens Licht wird und alte Wunden aufbrechen. Krien lässt dezent auch das aktuelle Zeitgeschehen einfließen, erwähnt beiläufig Hamsterkäufe und Gesichtsmasken und die Limitierung auf eine Reise im Inland. Durch Peters Job als Dozent, der ein einschneidendes Erlebnis für Leben bedeuten soll, werden auch Genderdebatten thematisiert, kurz nur, für den Verlauf der Geschichte aber wichtig. Durch den hohen, gut situierten sozialen Status ihrer Protagonisten klingt auch immer wieder, gerade im Zusammenspiel mit der Tochter der beiden, Kritik an der deutschen Klassengesellschaft an, ohne wertend zu sein.