Eine Herausforderung

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Man kann nicht sagen, dass Rahel und Peters Ehe in Scherben liegt. Aber irgendetwas ist passiert, dass zwischen ihnen nichts geblieben ist als gegenseitiger Respekt und ansonsten ganz viel Schweigen bei unterdrücktem Ärger und Enttäuschung. Ein Paar, das sich einfach auseinandergelebt hat? In der Hinsicht hat mich das Buch überrascht. Gewissermaßen räumt es sogar mit dem Klischee des Auseinanderlebens auf, denn dieses passiert nicht einfach so, sondern basiert auf vielen Situationen der misslungenen Kommunikation, bei denen man sich unverstanden oder im Stich gelassen fühlt.

Das Cover ist, leider typisch für viele Diogenes-Bücher, ohne wirklichen Bezug zum Text und nichtssagend. Wenn man aber einmal auf das Buch aufmerksam geworden ist, wirkt der Einstieg so, als könnte man in jedem Alter von der Lektüre profitieren. Mittendrin war ich mir dessen aber plötzlich nicht mehr so sicher, denn Rahel wurde mir so unsympathisch, ihre Probleme mir so unzugänglich, dass ich mich nur fragte: "Was will diese Frau eigentlich von der Welt und wieso meckert sie nur an anderen herum, wo alle Probleme von ihr auszugehen scheinen?" Eine Ansammlung unangenehmer Personen, die ich nicht mal aus Interesse an der menschlichen Psyche kennenlernen wollte - das war lange Zeit mein Fazit für dieses Buch. Aber eins muss ich zugeben: Die Figuren sind verdammt authentisch, erwachen vor meinem Auge geradezu zum Leben. Ich muss sie nicht mögen, um diese Leistung der Autorin würdigen zu können. Und wenn man bis zum Ende durchhält, wird man sogar mit Charakterentwicklung und wahrem Wachstum belohnt. Ein gutes Ende, das zu dem Buch passt.

Eine der versteckten Stärken des Buches ist zudem sein differenzierter und unkonventioneller Blick auf Fragen und Phänomene, die die Gesellschaft heute bewegen: Gender, Ziele und Fähigkeiten junger Menschen, insbesondere an der Universität, der Sinn von Psychotherapie, Shitstorms und deren Folgen für den Einzelnen. Bei all diesen Themen hat das Buch meine Perspektive erweitert, insofern hat sich die Lektüre trotz des Ärgers und der langweiligen Passagen hier und da definitiv gelohnt.