„Satte Zeiten - Schwache Menschen“

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leukam Avatar

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Rahel und Peter, Akademikerpaar aus Dresden, freuen sich auf ihren Urlaub. In der Abgeschiedenheit der bayrischen Alpen wollen sie sich wieder näher kommen. Denn ihre Ehe ist nach beinahe dreißig Jahren in eine Krise geraten. Die erwachsenen Kinder sind schon eine Weile aus dem Haus und die Frage, was sie noch verbindet und ob das reicht, steht im Raum. Rahel fehlt die Leidenschaft in ihrer Beziehung; dass Peter nicht mehr mit ihr schlafen will, kränkt sie. Peter, Literaturprofessor, ist unglücklich in seinem Beruf. Er ist enttäuscht von der jetzigen Studentengeneration und nach einem Eklat an der Uni - Peter hat eine nicht-binäre Person mit „ Frau“ angeredet und damit einen Shitstorm ausgelöst - möchte er sich am liebsten ganz zurückziehen. „ Sein Hang zur Gründlichkeit geht ins Pedantische, die kritische Distanz ist zur Weltabkehr geworden.“
Auch Rahel wirkt in ihrem Beruf als Psychotherapeutin ausgebrannt und kann nur noch wenig Verständnis für die Probleme ihrer Patienten aufbringen. „ Satte Zeiten bringen schwache Menschen hervor, denkt sie, ohne sich selbst davon auszunehmen.“
Doch aus dem geplanten Urlaub wird nichts, denn das Feriendomizil ist abgebrannt. Da kommt der Hilferuf einer älteren Freundin gerade zur rechten Zeit. Ruth bittet sie, drei Wochen lang ihr Haus in der Uckermark zu hüten, da sie ihren Mann nach dessen Schlaganfall in die Reha- Klinik begleiten möchte.
Daniela Krien erzählt nun chronologisch, mit Rückblenden in die Vergangenheit, von diesen drei Wochen, in die der Roman auch gegliedert ist.
Es ist ein altes, baufälliges Haus mit großem Garten und allerlei Getier. Hühner, Katzen, ein altes Pferd und ein flügellahmer Storch wollen versorgt werden. Peter ist froh über diese Aufgabe, gibt sie ihm doch die Möglichkeit, Rahel aus dem Weg zu gehen und für sich allein zu sein. Bezeichnend ist auch, dass das Paar unabgesprochen getrennte Zimmer bezieht.
Erstmal brechen alte Wunden auf; Verletzungen und Kränkungen stehen zwischen ihnen. Beide müssen sich über ihre Wünsche und Erwartungen klarwerden. Wie sollen sie mit den unterschiedlichen Bedürfnissen nach Nähe und Distanz umgehen? „ Du denkst gar nicht mehr im Wir, sagt sie tonlos. Das stimmt überhaupt nicht, widerspricht er. Das Wir stelle ich überhaupt nicht in Frage. Höchstens meine Rolle darin.“
Leichter wird es für das Paar auch nicht, als Tochter Selma mit ihren beiden kleinen Kindern zu Besuch kommt. Selma ist eine schwierige Person, fühlt sich ständig unverstanden und zurückgesetzt. Das Verhältnis zwischen Rahel und ihrer Tochter war von jeher schwierig. Rahel hat das Gefühl, als Mutter versagt zu haben. So wie ihre Mutter schon keine richtige Beziehung zu ihr aufbauen konnte.
Mit Sohn Simon gestaltet sich das Zusammentreffen einfacher. Auch wenn die Eltern seinen Ehrgeiz und seine Disziplin kritisch sehen und mit seiner Berufsentscheidung, einer Laufbahn bei der Bundeswehr, fremdeln.
Nicht nur die ehelichen und familiären Probleme belasten Rahel. Sie litt zeitlebens darunter, nicht zu wissen, wer ihr Vater ist. Und hier scheint sie Indizien zu finden, die das Geheimnis auflösen könnten.
Daniela Krien beschreibt anschaulich und in vielen kleinen Szenen die Schwierigkeiten und Probleme einer Ehe, die in die Jahre gekommen ist. Das gelingt ihr sehr gut. Beide, Rahel und Peter, wollen noch nicht aufgeben und am Ende scheint es Hoffnung für ihre weitere Beziehung zu geben.
Das alles wird, zwar nicht in der Ich- Perspektive, doch trotzdem streng aus Rahels Position geschildert. Dabei ist sie keineswegs sympathisch. Zu ich- bezogen, zu selbstgerecht, zu wenig empathisch kommt sie rüber. Für Peters Situation hat man mehr Verständnis, obwohl sein Rückzug zu rigoros erscheint. Außerdem wirken beide Figuren, Rahel Ende Vierzig, Peter Mitte Fünfzig, in ihren Ansichten wesentlich älter als sie tatsächlich sind. Z.B. in Fragen der Kindererziehung vertritt Rahel Positionen, die man eher bei der Generation der 80jährigen vermuten würde und Peter bringt wenig Verständnis für seine jungen Studenten auf.
Viele der im Roman angesprochenen Themen, wie die Corona- Krise, der Klimawandel, die Genderdiskussion, das Rollenverständnis usw. sind voll aus dem Leben gegriffen und sehr aktuell. Gekonnt werden diese in die Geschichte eingebaut, ohne dass die Autorin dabei in die Tiefe geht.
Sprachlich hat mich der Roman wirklich überzeugt. Mit wenigen Sätzen skizziert Daniela Krien Szenen und Figuren und schafft Atmosphäre. Sie arbeitet mit Bildern und Symbolen die für die seelische Verfassung der Figuren stehen, so z. B. der Tonengel mit dem abgebrochenen Flügel, die Spinnweben an einer Figur. Ansonsten ist die Sprache einfach, nüchtern und trotzdem einfühlsam.
„ Der Brand“ ist ein unterhaltsamer und lesenswerter Roman, der zwar nachdenklich macht und zur Reflexion einlädt, doch nicht ganz an das letzte Buch der Autorin herankommt.