Brüder unter Waffen und eine Schwester, die heilt

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
ninchenpinchen Avatar

Von

Im brennenden Garten wird man von Zeile zu Zeile mehr gefangen. Die Geschichte saugt einen ein und es wird immer bedrohlicher. Die Jugendzeit der Protagonisten vergeht so schnell und ehe sie es sich versehen, befinden sie sich in einem Wirbelsturm namens Bürgerkrieg.

Tamilen, wie sie selbst, gegen Singhalesen. Sashi, die junge Tamilin, ihre vier Brüder und die Eltern werden gespalten von den Umständen. Zwei der Brüder gehen zu den Tamil Tigers, ebenso wie Sashis Freund aus der Nachbarschaft: „K“.

Unaufhaltsam wirbelt der Bürgerkrieg alles durcheinander. Morde, selbst unter Nachbarn, werden begangen. Grenzen werden ständig überschritten. Am Ende muss die Familie ihr eigenes Haus verlassen, um Platz zu machen für die Tigers. Sie haben absolut keine Wahl. Es wird ihnen zwar ein anderes Haus zur Verfügung gestellt, aber da sind sie nicht verwurzelt.

Das schöne Eigenheim der Oma in Colombo wird angezündet, brennt später samt Inhalt – u. a. mit einer wunderschönen Bibliothek – vollständig ab und Sashi und die Großmutter können in letzter Minute fliehen. „Ihre schreckliche, unübersetzbare Angst. Du redest dir ein, du wärst vorbereitet, aber dann steigt das Grauen in dir auf. Du weißt nie, wozu du fähig bist, bis du es tun musst.“ (S. 89)

Man weiß nicht mehr, wem man noch trauen kann. Selbst in „No-Fire-Zonen“ ist keine Sicherheit garantiert. „Wir waren nahtlos dazu übergegangen, uns selbst vor denen, die wir liebten, zu zensieren.“ (S. 173) – „Erst im Rückblick sehe ich es klar: Wir begannen mit der Selbstzensur, als die Tigers Sir ermordeten.“ (S. 203) Sir war Rajan Master, sehr verehrter Lehrer und Schulleiter.

Und es passiert das, was in Kriegen immer passiert: Frauen werden geschlagen, vergewaltigt, teilweise getötet. Gründe finden sich immer.

Doch als das grausamste und schlimmste Kapitel kam, blieb mir förmlich die Luft weg. Etwas so Erschütterndes und Herzzerreißendes habe ich kaum jemals gelesen. Und die Protagonistin und angehende Medizinerin Sashi ist gefordert, wie nie in ihrem Leben. Und der Leser leidet mit.

Und immer, wenn man denkt, endlich kehrt Ruhe ein und die Lage entspannt sich, ist es nicht so. Es wird nie wieder so, wie es war.

Aran, der jüngste der vier Brüder, ging nicht zu den Tigers und spricht nun zu einem der beiden älteren Brüder, der zu den Tigers gegangen ist: „Eure Bewegung hat einen Freund von mir ermordet. Sollen wir rausfinden“, und jetzt lächelte er wieder dieses verächtliche Lächeln, das mir mit seiner irrationalen Furchtlosigkeit Angst machte, „ob ihr die Art von Brüdern seid, die dazu bereit sind?“ (S. 247)

Der älteste der Brüder, Niranjan, wurde schon vorher ermordet, gemeinsam mit zwei Fluchthelfern. Er hatte seiner kleinen Schwester stets eingeschärft, das Denken nicht anderen zu überlassen. (S. 146) Deshalb schreibt Sashi alles auf, was ebenfalls lebensgefährlich ist und geahndet wird. Das verhilft ihr zur Klarheit der Gedanken. „Hast du je versucht, laufende geschichtliche Ereignisse festzuhalten? Kaum hatten wir etwas aufgeschrieben, waren die Tigers, die Inder oder die sri-lankische Armee schon dabei, die Geschichte wieder umzuschreiben. Ich hatte A und V gebeten, mir beizubringen, wie man die Wahrheit dokumentiert.“ (S. 349)

Etwas hat mich bewogen, das Buch lesen zu wollen, auch weil mich Sri Lanka seit den „sieben Monden des Almeida“ interessiert. Mit einem solchen Sog hätte ich aber nicht gerechnet und auch nicht mit so einer Steigerung von Seite zu Seite, von Kapitel zu Kapitel. Wie leicht kann doch die Welt aus den Fugen geraten. Und wir sind hier mittendrin. Und wir kommen nicht zur Ruhe.

Fazit: Ich habe am Anfang zunächst nicht erkannt, welch ein kostbares Juwel hier vor mir lag. Eindrucksvoll und mit Sicherzeit zeitaufwändig recherchiert. Auf jeden Fall eines meiner Highlights des Jahres 2025, wo ich – doch zum Glück – den richtigen Riecher hatte. 5 hoch verdiente Sterne!