Wie erzählt man eine Wahrheit, die in Flammen steht?

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V. V. Ganeshananthan gehört zu jenen Autorinnen, die politische Geschichte nicht einfach erzählen, sondern literarisch beleuchten, als würde sie unter der Oberfläche einer persönlichen Erinnerung nach glühenden Splittern suchen – und genau diese Funken schlagen in Der brennende Garten (aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz) unentwegt über.
Dieser Roman ist eine Wucht – nicht laut, nicht reißerisch, sondern eindringlich, vielstimmig und atmosphärisch dicht wie ein monsunfeuchter Morgen in Jaffna. V.V. Ganeshananthan gelingt das Kunststück, ein zutiefst politisches Thema so intim zu erzählen, dass man die Geschichte weniger liest als miterlebt. Schon Sashis Eröffnungssatz – ein Brief an jemanden, den die Welt als Terroristen verurteilt – öffnet ein erzählerisches Tor, hinter dem die Frage lauert, wem Erinnerung eigentlich gehört.
Wir folgen Sashi von ihrer Jugend in Sri Lanka bis in ihr späteres Leben in New York. Und während sie am Anfang voller Zuversicht ist – Medizinstudium, Vorbilder in der Familie, ein zartes Band zu K aus der Nachbarschaft – setzt der Bürgerkrieg alles in Flammen. Was in warmen, fast flirrenden Farben beginnt, kippt Stück für Stück ins Dunkel: Unterdrückung, Gewalt, Misstrauen, das gefährliche Schachspiel zwischen singhalesischer Mehrheit, tamilischer Minderheit und internationalen Interessen.
V.V. Ganeshananthan zeigt diese Welt nicht mit distanzierender Chronistenstimme, sondern durch Sashis Erinnern. Dieses Erzählen aus der Rückschau erzeugt eine Bitterkeit, eine Schärfe, aber auch überraschend viel Zärtlichkeit – denn die Figuren bleiben nie nur Opfer oder Täter, nie nur richtig oder falsch. Besonders bewegend ist, wie unterschiedlich die Familienmitglieder reagieren: Der eine sucht Schutz in Bildung, der andere in Widerstand, ein dritter in Loyalität zu einer Idee, die größer erscheint als das eigene Leben. Und mitten drin Sashi, die sich weigert, die Welt nur in Schwarzweiß zu betrachten, und deren Kampf für Gerechtigkeit leise, aber kraftvoll ist.
Literarisch beeindruckend ist vor allem die Balance: Die Autorin fügt persönliche Schicksale, reale historische Ereignisse und sprachliche Feinheit zusammen, ohne je den Blick für die menschliche Erfahrung zu verlieren. Ihre Sätze besitzen eine Eleganz, die sich nicht scheut, in Schmerz zu tauchen.
Wer wenig über Sri Lanka weiß, wird hier nicht belehrt, sondern hineingezogen. Der Roman erklärt nicht – er zeigt, er lässt spüren, er zwingt dazu, zuzuhören. Selbst die Szenen in New York, wo Sashi längst in Sicherheit ist, tragen die Schwere der Vergangenheit in sich. Migration erscheint hier nicht als einfacher Neuanfang, sondern als Fortsetzung einer offenen Wunde, die ihren eigenen Rhythmus hat.
Der brennende Garten ist kein Roman, durch den man rast. Er verlangt Zeit, Luft, Pausen. Aber gerade darin liegt seine literarische Größe: Er wirkt nach, er stellt Fragen, er lässt nicht los.
Ein meisterhaft erzähltes Werk voller moralischer Ambivalenz, politischer Klarheit und emotionaler Tiefe – und zweifellos eines der wichtigsten Bücher über den sri-lankischen Bürgerkrieg in der aktuellen Literatur.