Justiz-Krimi vor unfassbarem Hintergrund

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kainundabel Avatar

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Wer denkt sich denn in seiner Fantasie so etwas als Plot für seine Geschichte aus? Da vermitteln Berliner Jugendämter bis 2003 im Rahmen eines „wissenschaftlich begleiteten Experiments“ Kinder und Jugendliche aus zerrütteten Familienverhältnissen an pädophile Pflegeväter, um sie in einem „liebevollen Umfeld“ aufwachsen zu lassen, öffnen damit dem sexuellen Missbrauch Tür und Tor und hinterlassen eine Vielzahl traumatisierter Opfer. Hirngespinst? Von wegen. Fassungslos muss man zur Kenntnis nehmen, dass es der Realität entspricht.
Nach „Die 7. Zeugin“ legt nun das Duo Schwieker/Tsokos den zweiten Justiz-Krimi vor. Und der hat es wahrlich in sich. Zwei der damaligen Missbrauchsopfer suchen den Weg an die Öffentlichkeit, wollen publik machen, was sich unter dem Deckmantel vermeintlicher Fürsorge abgespielt hat. Im Fadenkreuz: Der aussichtsreiche Kandidat für den Posten des Regierenden Bürgermeisters, dereinst noch zuständig für die Vermittlung der späteren Opfer an ihre Täter. Als einer der beiden tot aufgefunden wird, der andere einem offenkundigen Anschlag nur knapp entgeht, nimmt die Handlung vollends Fahrt auf. Auch diesmal ermitteln wieder der Anwalt Rocco Eberhardt und der Rechtsmediziner Justus Jarmer. In kurzen Sequenzen wechselnder Schauplätze und mit scharfen Schnitten entwickelt sich von Anfang an ein Sog, dem man sich als Leser nicht entziehen kann. Da sitzt jedes Wort, da bleibt kein Platz für Überflüssiges oder Weitschweifiges. Grundsolide erzählt, fast unspektakulär, aber mit zielsicherem Spannungsaufbau und immer wieder auch den empathischen Blick auf die Opfer gerichtet. Die Handlung treibt den Leser förmlich vor sich her: Noch das nächste Kapitel lesen, das übernächste auch noch, und schon steckt man mittendrin in der langen Lesenacht. Es fällt sehr schwer, das Buch beiseite zu legen. Letzten Endes treibt der Gerichtsprozess dem absoluten Höhepunkt entgegen - und hält dabei eine völlig überraschende Wendung parat. Ein echter Justiz-Krimi vor realem, unfassbarem Hintergrund.
Das Grundmotiv des Covers ähnelt dem des ersten Bands und hat einen deutlichen Wiedererkennungseffekt. Rundum gelungen!