Aktuelle Freundschaftsgeschichte mit Tiefgang

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Jimmy geht in die dritte Klasse und ist ein einsamer, fantasiebegabter Junge. Seine Eltern haben sich gerade erst scheiden lassen. Der Vater ist auf und davon, die Mutter nimmt sich wenig Zeit für ihren Sohn. Jimmy hat sich eine eigene innere Welt geschaffen. Er sammelt mit leidenschaftlicher Hingabe Flippo Sammelbilder aus Chipstüten, imaginiert eigene Heldengeschichten, er ist überdurchschnittlich klug und dabei leider ein Außenseiter. Letzteres ändert sich, als Tristan Ibrahimi in seine Klasse kommt. Mit elf Jahren ist Tristan zwar einiges älter, doch hat er mit seiner Familie eine tragische Flucht aus dem Kosovo hinter sich und soll nun erst einmal zur Ruhe kommen sowie die Sprache erlernen. Zu diesem Zweck wird ihm Jimmy an die Seite gestellt, der sich dieser Aufgabe auch engagiert und ideenreich widmet. Die beiden ungleichen Jungen werden dicke Freunde. Jimmy genießt Zusammenhalt und Gemeinschaft in Tristans großer Familie, in der jeder seine Aufgaben hat und gebraucht wird. Er freut sich riesig, als er zum ersten Mal zu einer Übernachtung eingeladen wird, die eine spannende Entwicklung nimmt.

Die Figuren werden mit großer Unmittelbarkeit vorgestellt, überwiegend aus der Perspektive Jimmys. Schnell sympathisiert man mit dem ruhigen Jungen, der fast verzweifelt auf einen Anruf seines Vaters wartet. Man gönnt ihm den neuen Freund von Herzen, der seine innere Vereinsamung durchbricht. Doch auch Tristan hat seine Geheimnisse, an denen man nicht rühren darf. Er wurde stark traumatisiert, so dass ihn plötzlich auftretende Ängste lähmen können und sein Verhalten nicht immer nachvollziehbar machen. Man liest den kleinen Roman über weite Strecken wie ein spannendes Jugendbuch, bis die reale Erwachsenenwelt ins Geschehen einbricht. Familie Ibrahimi ist nämlich von Abschiebung bedroht.

Ohne belehrende Botschaften konstruiert Lize Spit einen bewegenden Plot, der aus völlig ruhigen Fahrwassern dramatische Spannung entwickelt. Anonyme Flüchtlinge bekommen ein Gesicht und eine Identität, die Autorin zeigt deren Schicksal exemplarisch ohne Dramatisierung oder Beschönigung. Tristan möchte seine Chance nutzen, er möchte unbedingt in Belgien bleiben und ist dafür bereit, auch Risiken einzugehen.

Am Ende des Romans muss man zweifellos nachdenken. Über Familie, Freundschaft, über Asylpolitik, Integration - vor allem aber über den Ausgang dieser Geschichte, die einiges an Interpretationsspielraum offenlässt. Ich kann mir das Buch wunderbar als Schullektüre vorstellen, die schon aufgrund ihrer Kürze und der gezeigten kindlichen Lebensrealität bestimmt gern gelesen wird. Gut und Böse verschwimmen bewusst, der Bezug zum Titel hat eine Doppeldeutigkeit. Helga von Beuningen hat den Roman hervorragend aus dem Niederländischen übersetzt.

All Age Leseempfehlung!