Kindliche Perspektive, dramatische Zuspitzung

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angie99 Avatar

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Jimmy ist ein 12jähriger Außenseiter und Sammler von Weltrang (vor allem von Flippos – Plastikkarten, die sich als Gratis-Beigabe in Chipspackungen versteckten und Ende der ´90er Jahre in Belgien und der Niederlande für einen Hype sorgten). Und ein ehrlicher Finder. Denn unehrlich, das war sein Vater, der Geld veruntreut hat und sich dann aus dem Staub gemacht hat, was nun auf ihn zurückfällt.
Eines Tages tritt Tristan in sein Leben – ein gleichaltriger Junge, der mit seinen Eltern und Geschwistern zu Fuß und mit dem Boot aus dem Kosovo nach Belgien geflohen ist - und Jimmy ergreift die einmalige Chance auf einen Freund mit beiden Händen.
Das neue Buch von Lize Spit ist deswegen einerseits die bewegende Geschichte einer Freundschaft. Einer Freundschaft der Gegensätze: hier die ausländische Großfamilie, da das wohlstandsverwahrloste Einzelkind. Der Freundschaft zweier Jungen kurz vor der Pubertät, die sich über sprachlich-kulturelle Grenzen hinwegsetzt und sich mit kleinen Riten (Paprimatsch) und Gesten ihre eigene Welt erschafft, von der Autorin wunderbar empathisch eingefangen.
Es ist aber auch eine Geschichte, die von Flucht und Migration handelt. Eine, die laut Autorin auf wahren Begebenheiten beruht. Und eine, die sich in diesem Buch auf dramatische Weise zuspitzt und – man ahn ahnt es schon auf den ersten Seiten, obwohl es sich mehr um ein Hintergrundbrummen als um greifbare Sätze handelt – in einer Katastrophe endet.
Dieser unheilvollen Dynamik kann man sich kaum entziehen, das 128seitige Buch ist zügig gelesen und endet in einem Knall, der erst mit dem Zuklappen seine Wucht entfaltet, den ich aber in dieser Form auch als arg effekthascherisch empfand.
Mich haben tatsächlich die leisen Töne in diesem Werk am meisten angesprochen.
Jimmy ist der alleinige Erzähler dieser Novelle und man kann sich keinen besseren vorstellen. Zwar lernt man auf diese Weise die Ibrahimis nur aus seiner Sicht kennen, aber Spit baut so viele Beobachtungen, Zwischentöne und Seitenhiebe mit ein, dass sich der Horror ihrer Fluchterlebnisse in Nebensätzen erahnen lässt.
Jimmy mit seinem ehrlichen, goldenen Herzen muss man einfach gernhaben und an etlichen Stellen möchte man ihn drücken, weil er nicht nur sein eigenes Schicksal so tapfer erträgt, sondern auch gewillt ist, das seines Freundes in eine andere Richtung zu drehen. Seine kindliche Naivität und Unvoreingenommenheit sind es, die der ziemlich trocken daherkommenden Sprache das gewisse Etwas verleihen und die Erzählung in dieser Form funktionieren lässt.
Von mir 4,5 Sterne und eine klare Leseempfehlung!