Kurz, aber gewaltig

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
buchwelten Avatar

Von

So ein dünnes Buch, und gleichzeitig eine Geschichte voller Kraft und Emotion - eigentlich bin ich kein Freund von kurzen Erzählungen, diese aber hat mich völlig gepackt und in einen ganz eigenen Sog gezogen.

Jimmy ist neun Jahre alt und wird in der Schule gemieden, weil sein Vater nicht nur die eigene Familie, sondern das ganze Dorf um Geld betrogen hat. Er ist ein guter Schüler, seine Leidenschaft ist das Sammeln von „Flippos“. Tristan ist schon elf und mit seiner Familie aus dem Kosovo geflohen – in der Schule wird er neben Jimmy gesetzt, damit der sich um ihn kümmert. Und Jimmy geht ganz in dieser Aufgabe auf.

Erzählt wird die Geschichte aus Jimmies Perspektive, und ich finde, die Autorin hat dafür einen sehr guten Erzählton gewählt. Die doch sehr naive Sicht des Jungen auf die Dinge, und eben auch das Verkennen von Situationen ist tragisch und hat mich bei Lesen geschmerzt. Jimmy mochte ich von Anfang an – er hat es nicht leicht, seitdem sein Vater die Familie verlassen hat, und trotzdem hat er seinen positiven Blick auf die Dinge nicht verloren, man könnte aber auch sagen, dass er gutgläubig und naiv ist und kein Gespür für andere hat. Er hat ein großes Herz, ist stolz darauf, in Tristan einen neuen Freund gefunden zu haben. Er gibt alles und will ihm nicht nur die Sprache näherbringen, sondern auch seine eigenen Hobbies; so liebevoll er sich aber kümmert, merkt er nicht, dass Tristan ganz andere Sorgen plagen.

Tristan ist mir dagegen eher fremd geblieben, sicher auch, weil es eben Jimmy ist, dessen Sicht präsentiert wird. Tristans Schmerz und auch der seiner ganzen Familie wird erst im letzten Drittel des Buches sehr greifbar – die Erlebnisse im Krieg, die Gefahren der Flucht und die vielen schrecklichen Bilder hallen bei allen nach. Und während sie nach außen wie eine sich eingewöhnende Flüchtlingsfamilie wirken, tobt innerlich bei ihnen die ganze Zeit Angst und Schrecken.

Die Geschichte hat einen ganz eigenen Sog, und als Leser ahnt man, dass irgendetwas geschehen wird – und so ist das letzte Drittel spannend, emotional und schmerzhaft – und immer noch denke ich über das Ende nach.

Wer von Lize Spit schon einmal etwas gelesen hat, weiß, dass sie auch schmerzhafte Szenen nicht scheut, sie zu Ende erzählt und so Bilder entstehen lässt, die es in sich haben – so ist es auch bei dieser Novelle, die mich verletzt, schockiert und berührt zurücklässt, die ich aber dennoch empfehle, weil sie kraftvoll und gnadenlos ein aktuelles Thema anpackt.

Mein Fazit
Aus Sicht des neunjährigen Jimmy wird die Situation einer Flüchtlingsfamilie aus dem Kosovo dargelegt – was naiv und unschuldig beginnt, baut sich langsam zu einem Finale auf, das gnadenlos, ehrlich und voller Emotionen steckt. Keine leichte Kost, von mir aber eine uneingeschränkte Empfehlung.