Tolles Krimidebüt!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
marionhh Avatar

Von

München, 1914: Kommissär Reitmeyer schlägt sich mit Einbruchsdelikten, Streiks und Kleinkriminellen herum, bis an einer Isarbrücke ein Toter gefunden wird. Reitmeyer und sein Team, Kriminalassistent Steiger und Polizeischüler Rattler, beginnen zu ermitteln. Während alle von einem Unfall ausgehen, gräbt Reitmeyer tiefer und gerät bald in einen Sumpf aus Erpressung, Vertuschung und Bedrohung. Da wird ein zweiter Toter gefunden, und mit Hilfe seiner alten Freundin Caroline von Dohmberg, inzwischen Ärztin, findet Reitmeyer heraus, dass es sich zweifelsfrei um Mord handelt und dass es beim Militär offensichtlich dunkle und heimliche Machenschaften gibt, die keiner öffentlich machen will. Von Rechts wegen darf Reitmeyer aber beim Militär nicht ermitteln, denn es genießt Immunität in einem Kaiserreich, dessen erste Stütze das Heer ist und das zudem kurz vor dem Krieg steht und sich daher der Loyalität all seiner Einheiten versichern muss. Als weitere Morde, der Selbstmord eines stadtbekannten Künstlers und mehrere Überfälle geschehen und Reitmeyer immer tiefer in sowohl höchste als auch niedrigste Kreise eindringt, wird auch die enge Verstrickung seiner alten Freunde von Dohmberg in die Sache immer deutlicher, und auch sein Polizeischüler scheint ihm nicht in allen Dingen anstandslos zu folgen. Reitmeyer muss seine Arbeitsmethoden sehr kreativ auslegen, um zur Lösung des Falls vorzudringen und gleichzeitig die Dohmbergs und seine Mitarbeiter zu schützen. Immer öfter wird er zum Polizeipräsidenten zitiert, und die Drohung, dass indiskretes Vorgehen ihn seinen Job kosten könnte, steht mehr als einmal im Raum. Ein letzter, nicht ganz legaler und sehr gefährlicher Coup jedoch bringt ihn der Lösung näher, als ihm lieb ist...

Toller Krimi vor spannendem historischen Hintergrund, etwas schrulliger, hochintelligenter Ermittler und vielschichtige Charaktere! Ein überaus gelungener Einstieg in eine neue Krimiserie um Kommissär Reitmeyer, der Lust auf mehr macht. Sehr flüssig und eingängig geschrieben, aber trotzdem nicht simpel, und mit spannenden Dialogen liest sich dieser Krimi sehr gut und fesselt von der ersten Seite an. Mit wechselnden Perspektiven gibt die Autorin Einblicke in die Seelen der Opfer und der Täter, und erst nach und nach tun sich die Abgründe auf, die hinter jeder Fassade verborgen liegen. Die Charaktere sind durchweg gut herausgearbeitet, und besonders wohltuend ist der Kommissär, der realistisch und sachlich, nicht zu gefühlsduselig, aber auch nicht zu distanziert und kalt daher kommt. Sein Privatleben spielt durchaus eine Rolle, wird aber auch nicht übermäßig herausgestellt, er wird sich seiner Gefühle sehr wohl bewusst, lässt sich durch sie aber nicht in seiner Arbeit behindern. Er kann sich und seine Gefühle sehr gut einschätzen und ist auch bereit, Risiken einzugehen, sofern es der Sache dient.

Reitmeyer ist ein interessanter Charakter, er hält sich mit politischen Meinungen in einer politisch hochbrisanten Zeit zurück und macht seine Arbeit, auch wenn er mit den Oberen nicht konform ist. Mit abgebrochenem Studium hatte er nicht viele Jobmöglichkeiten, trotzdem macht er seine Arbeit gerne, und in diesen Fall verbeißt er sich in dem Maße, wie man versucht, ihn davon abzuhalten. Selbst als klar wird, wie tief seine besten Freunde, die von Dohmbergs, darin verstrickt sind, lässt er sich in seinem Gerechtigkeitssinn nicht von der Aufklärung abhalten. Der Fall an sich ist zunächst einmal gar nicht so verzwickt, erhält aber eine ungeheure Brisanz durch die Tatsache, dass der Kommissär in seiner Arbeit behindert wird, nicht in den Militärkreisen, wo die Wurzel allen Übels zu suchen ist, ermitteln darf und dass seine Freundin Caroline Informationen zurückhält, die ihn schon viel eher an die Lösung heran geführt hätten. Die politische Lage und der historische Hintergrund spielen sicherlich eine große Rolle, es sind aber keine intimen Kenntnisse der Geschichte vonnöten, um die Handlung und die Geschehnisse zu verstehen. Die Handlung nimmt unabhängig davon ihren Lauf, und die Autorin versteht es meisterhaft, die Handlungsstränge, die Ermittlungsergebnisse und Aktionen der Protagonisten logisch aufzubauen, so dass der Leser alles immer nachvollziehen kann. Der Leser selbst ist allerdings gegenüber Reitmeyer im Vorteil, da er eher als Reitmeyer die Aufzeichnungen des Offiziers kennt. Nichtsdestotrotz wird auch hier nicht zu viel verraten, sondern die vorangegangenen Aktionen eher ergänzt, so dass der Spannungsbogen kontinuierlich aufrecht erhalten wird.

Abwechslungsreich und spannend ist der Roman auch aufgrund der Tatsache, dass Reitmeyer in vielen Milieus und Gesellschaftsschichten ermitteln muss, d.h. er ist sowohl in reichen Bürgerhäusern als auch beim Adel zu finden, muss aber ebenso mit Prostituierten und Arbeitern sprechen. Jeder hat seine Päckchen zu tragen und hat andere Ressentiments, und allen muss Reitmeyer Rechnung tragen. Dass er hier manchmal über die Stränge schlägt, ist nur seinem über allem stehendem Gerechtigkeitssinn geschuldet. Er weiß sich sehr wohl durchzusetzen und mitunter auch mit unkonventionellen Methoden zum Erfolg zu kommen.

Formal ist der Roman in drei Teile sowie einen Pro- und einen Epilog gegliedert. Die sehr passenden Überschriften bilden eine Art übergeordnetes Thema zu dem jeweiligen Teil, die jedoch alle nahtlos und chronologisch ineinander übergehen und nur eine Zeitspanne von einem Monat abdecken. Lediglich der Epilog spielt dann zwei Jahre später und bildet die letzte endgültige Auflösung des Falles. Aufgrund der brisanten Situation muss leider gesagt werden, dass der Gerechtigkeit nicht in allen Teilen genüge getan wird und so eine komplett befriedigende Lösung (und gerechte Strafe für alle Täter) nicht möglich ist. Das tut aber dem Lesevergnügen überhaupt keinen Abbruch und macht im Gegenteil Lust nach mehr Fällen für Kommissär Reitmeyer!

Fazit: Sehr gelungenes, sehr spannendes und hochwertig geschriebenes Krimidebüt. Ein Ermittler, der überzeugt und der das Potential hat, sich charakterlich und beruflich weiter zu entwickeln. Nicht nur der historische Hintergrund, auch das Leben der Menschen und besonders das Reitmeyers und seiner Mitstreiter sind so interessant, dass man mehr über sie erfahren möchte. Absolut zu empfehlen für alle, die einen höher wertigen historischen Krimi lesen und sich in eine hoch brisante Zeit hinein versetzen lassen wollen!