Sachbuch mit Eigenheiten

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
singstar72 Avatar

Von



Mir hat das Buch eigentlich recht gut gefallen. Es hat auf jeden Fall gehalten, was die Leseprobe versprochen hat – griffig und anwendbar zu sein. Dennoch möchte ich nicht über eine mittlere Bewertung hinausgehen.

Doch von vorn. Wie mir schon in der Leseprobe aufgefallen war, ist das Buch in sehr eingängiger Sprache gehalten. Die Autorin verwendet Bilder und Metaphern, die jeder versteht. Auf Fachchinesisch wird weitestgehend verzichtet. Das Buch richtet sich eindeutig an Anwender, nicht an Rezensenten. Das wird auch durch die Verwendung von Beispielen aus dem Lebensalltag der Autorin oder ihr bekannter Personen deutlich.

Den Aufbau finde ich auch recht schlüssig. Teil Eins, „Emotionales Gepäck“, macht den Leser mit der Funktionsweise der menschlichen Psyche vertraut – so wie die Autorin es sieht und beschreibt. Besonders hier werden viele griffige Bilder verwendet; das Konzept des „Rucksacks“ wird eingeführt und erläutert. Besonders nett fand ich die Erläuterung, mancher habe einen „Trekking-Rucksack“ wie für eine Polarexpedition, mancher eher eine Handtasche…! Auch werden dem Leser eventuelle Schuldgefühle genommen. Einen Rucksack zu haben, ist normal, und hat eine Funktion. Leicht missverständlich ist vielleicht nur der Begriff des „emotionalen Schließmuskels“.

Teil Zwei, „Ein bewusster Umgang“, erläutert nun die Technik, die die Autorin im Umgang mit besagten Rucksäcken entwickelt hat. Oder besser gesagt, die sie anwendet, und als „ihre Methode“ verkauft (doch dazu gleich mehr). Die Technik der „bewussten Entladung“ ist schon recht eigen; auch das „Halten von Räumen“ für einen Gesprächspartner wird sicher so manchem Leser nicht unmittelbar einleuchten. Deutlich wird in diesem Abschnitt vor allem eins: dass wir andere Menschen brauchen, um uns weiterzuentwickeln, und dass wir um seelischen Schmerz bei der Heilung unserer Wunden leider nicht herumkommen.

Teil Drei, „Emotionale Hygiene“, behandelt eher gesamtgesellschaftliche Themen. Wie alles wäre, würde die Technik der „bewussten Entladung“ flächendeckend angewendet. Wie wichtig es wäre, sich seiner Emotionen (und der unheilvollen Kettenreaktionen, die diese hervorrufen) bewusst zu werden. Die Autorin nennt dies „emotionale Hygiene“, und verwendet griffige Vergleiche zum Händewaschen oder Zähneputzen. In diesem Abschnitt würde ich schon einen Stern abziehen, da sich manches wiederholt. Auch hat mich die Tendenz der Autorin ein wenig genervt, immer wieder zu sagen, „das habe ich schon erwähnt, möchte es aber noch einmal aufgreifen“. Ich finde, hier wird manches aufgebauscht, was sich kürzer hätte sagen lassen.

Nun zu meiner Kritik insgesamt. Hier fließen für mich zwei Aspekte ineinander. Die Technik, die in diesem Buch vorgestellt wird, ist eben nicht (!) neu, nicht das alleinige Produkt der Autorin. Sie hat es umformuliert, und einen eigenen Anstrich gegeben. Im Wesentlichen ist das, was sie hier beschreibt, schlicht eine Wiedergabe der buddhistischen Sicht menschlicher Kommunikation. Achtsamkeit, liebende Güte, Hinwendung im Dialog, „die Lücke finden“ im emotionalen Karussell – das alles kennt man aus diversen Werken buddhistischer Meister. (Vielleicht daher kein Wunder, dass das Buch im „Kailash“-Verlag erschienen ist – der Kailash ist der heilige Berg der Tibeter).

Zweitens ist mir das Buch zu unwissenschaftlich – es gibt noch nicht einmal ein Literaturverzeichnis! Es gibt zwar Anmerkungen auf Quellen, aber die beziehen sich nur auf einige wenige Fußnoten. Keine einzige Studie, keine Monographie wird aufgeführt! Das finde ich besonders dreist, da sie im laufenden Text immer mal wieder Vorbilder wie Ken Wilber oder Daniel Goleman erwähnt – ohne sie in ein Literaturverzeichnis aufzunehmen! Extrem aufgefallen ist mir das im Teil, der sich mit der Ausführung der „bewussten Entladung“ befasst. Wie man mit emotional aktivierten Menschen umgeht – da fanden sich Formulierungen, die kenne ich 1:1 aus der „Gewaltfreien Kommunikation“ nach Marshall Rosenberg, oder aus der „Validation“ nach Naomi Feil! Aber eben nicht von Vivian Dittmar.

Drittens, und das wurmt mich besonders… ich erfahre nichts, aber auch gar nichts über Vivian Dittmar. Welche Ausbildung hat sie? Hat sie studiert? Ist sie Ärztin, Psychologin, Journalistin?? Sogar auf ihrer eigenen Website steht nichts (!) dazu. Nur, sie habe Weltreisen gemacht, und danach Seminare geleitet und Bücher geschrieben. Sorry, das ist mir zu wenig. Hingegen macht sie im laufenden Text sehr wohl Werbung für ihre eigenen, anderen Bücher. Das vermittelt mir keinen guten Eindruck, und wirkt auf mich leicht unseriös.

Insofern würde ich sagen, es handelt sich nur halb um ein Sachbuch – eine sachliche, aber sehr persönlich gefärbte Auflistung einer Strategie, die aus anderen Quellen zusammengewürfelt worden ist. Ich scheine mir hier zu widersprechen, dass das Buch an Anwender gerichtet ist, nicht an Rezensenten – aber auch Anwender haben ein Recht darauf, zu erfahren, woher etwas stammt, und woher man weitere Informationen bekommt. Sicher mag die Autorin damit in ihren eigenen Seminaren Erfolg haben; und sicher ist dieses Buch an sich recht gut lesbar. Aber meinen Ansprüchen an „echte Sachbücher“ hat sie damit nicht ganz genügt.