Geschichte aus einem anderen Blickpunkt

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kleine hexe Avatar

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Ein vielschichtiger Roman der eine recht turbulente Zeit des 20 Jahrhunderts zum Thema hat. Auf drei Zeitebenen spielend und auf drei Kontinenten, beginnt und endet der Roman in Costa Rica 1953. Dies ist die Rahmenhandlung und die erste Zeitebene.
Die Haupterzählung spielt in den USA, genauer in New York. Nach dem ersten Weltkrieg, der Vater ist gleich zu Beginn des Krieges gefallen, beschließen zwei Brüder aus Deutschland nach Amerika auszuwandern. Doch der jüngere verliert durch einen Unfall ein Auge, er kann nicht mehr nach Amerika, auf Ellis Island würde er sofort ausgemustert werden. So bleibt er in Deutschland, heiratet, hat zwei Kinder. Joseph, nun Joe, der nach Amerika ausgewanderte Bruder, schlägt sich durch, arbeitet zuletzt in einer Druckerei und in seiner freien Zeit ist er als Amateurfunker in Verbindung mit der ganzen Welt. So lernt er Lauren kennen, eine junge Amerikanerin, die auch in New York lebt, so wie er. Doch es kommen schwere Zeiten. Nach der großen Wirtschaftsdepression geht es zwar aufwärts, aber langsam. Und immer mehr dringt das Politikum in das Leben aller Menschen, in Deutschland wie in den USA. Die Deutschen, die ausgewandert sind, spalten sich in zwei große Parteien: einerseits die vor Nazideutschland geflüchteten, Juden, Liberale, Intellektuelle. Andererseits die Deutschen rechter Gesinnung, die auch in Amerika der gleichen Propaganda frönen, wie auch in der alten Heimat. Sie versuchen Stimmung für Hitler zu machen, treten diversen Volksgruppen bei, sind fest überzeugt, Hitler allein könne Amerika retten, spionieren für das Hitlerregime. Joe lebt still, zurückgezogen, fühlt sich von dem groben Hurrapatriotismus seiner Landsleute abgestoßen. Doch durch sein Hobby ist er den Nazi-Agenten aufgefallen und ohne seinen Willen in deren Machenschaften verwickelt. Er muss geheime Botschaften nach Deutschland funken. Joe versucht auszusteigen, er will da nicht mitmachen, aber er wird brutal zusammengeschlagen. Letztendlich wendet er sich an das FBI, aber die helfen ihm auch nicht, sie wollen ihn als Doppelagenten benutzen. Erst als Joe Klein einen Autounfall provoziert, wird er von beiden Seiten in Ruhe gelassen und einige Monate danach endlich verhaftet. Er bleibt interniert bis 1949, als er nach Deutschland abgeschoben wird. Einige Monate lebt er bei seinem Bruder Carl, kann aber nicht heimisch werden weder in der Enge der zerbombten deutschen Städte, noch in der kleinbürgerlichen Atmosphäre in der Carl lebt und in der er auch seine Frau Edith und seine beiden Kinder zu leben zwingt. Die zwei Brüder finden weder den richtigen Umgangston miteinander noch auf seelischer Ebene zueinander. Joe wandert nach Südamerika aus. Als er merkt, dass er wieder von den alten Naziseilschaften umgarnt wird, wie einst in New York, gelingt es ihm endlich einen klaren Trennstrich zu ziehen, Nein zu sagen und sich nicht mehr in dunkle Machenschaften der Altnazis einwickeln zu lassen.
Während Costa Rica und 1953 dem Roman einen Rahmen geben, sind die beiden anderen Zeit- und Handlungsebenen miteinander verwoben, sie wechseln sich ab, ergeben zusammen eine interessante bunte Patchworkdecke. Einerseits Joes Leben in New York, sein Versuch sich von den ausgewanderten Deutschen fern zu halten, die Art wie er von Agenten der Reichsabwehr gezwungen wird zu kooperieren, seine Liebe zu Lauren, die ihm letztendlich zuvorkommt und ihn beim FBI anzeigt, seie Tätigkeit als Doppelagent, seine Zeit im Gefängnis, all dies wird in Rückblenden erzählt während er 1949 bei seinem Bruder lebt, versucht seiner Schwägerin Edith und den Kindern zu helfen, weil Carl, genau wie weiland der Vater zu Gewaltausbrüchen neigt.
Für Carl spricht, dass er sich während der Nazizeit geweigert hat ein arisiertes Haus zu kaufen und es vorgezogen hat ein altes, renovierungsbedürftiges Haus zum „normalen“ Preis zu kaufen und auch sonst sich nicht politisch betätigt hat. Im Gegensatz dazu Joe. Er hat auch versucht apolitisch zu leben, es ist ihm aber nicht gelungen und so musste er geheime Nachrichten nach Deutschland funken. Nur durch seine Verhaftung konnte er sich sowohl der deutschen Abwehr als auch dem FBI entziehen. War er tapfer? War er feige? Spielt keine Rolle. Joe Klein ist ein ganz normaler Mensch, weder ein Held noch ein Hasenfuß. Er will einfach nur so leben, wie es ihm gefällt, ohne anderen zu schaden oder zu verletzen. Er ist aber beileibe kein Herr Biedermann. Der bekanntlich die Brandstifter selbst in sein Haus lies. Joe versucht sich zu wehren, versucht auszusteigen, zu kündigen. Erst viele Jahre später wird ihm dies gelingen, in Costa Rica.
Der Schreibstil ist eher nüchtern, dadurch Joes Lebensgeschichte glaubwürdig machend. So klar und präzise der Stil ist, so überraschen ab und zu Sprachbilder von eigenartiger Schönheit: die Nacht senkt sich über Harlem wie ein Schleier der die Farben stetig löscht (S. 151), Nadelbäume die vor dem Nachtblauen Himmel Fächer bilden, „filigrane, asiatisch wirkende Bäume“ (S. 213), das Meer wie „Wasserteppiche die sich übereinander schoben“ (S. 219). Während der Überfahrt Richtung Buenos Aires bestaunt Joe den „Sauberen Nachthimmel“ (s.230)
Ein gutes, schön und spannend geschriebenes Buch mit einem interessanten Thema und literarisch auf hohem Niveau gehalten.