Nach einer wahren Begebenheit

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
evelynmartina Avatar

Von

Wie Charlotte in Federica De Cesco's Roman „Der englische Liebhaber“ den Nachlass ihrer Mutter Anna regelt und dabei deren Lebensschicksal besser verstehen lernt, so hat sich die Autorin selbst mit Schmuckstücken, Bild- und Tonaufnahmen sowie Tagebucheintragungen ihrer sterbenskranken Tante beschäftigt, Anlass und Motivation genug, eine außergewöhnliche Geschichte niederzuschreiben, die Fiktion mit Realem verbindet und ins Nachkriegs-Münster zu einer Liebe führt, die zwischen zwei ehemaligen Feinden eigentlich nicht sein durfte.

Die junge Anna, Dolmetscherin bei der britischen Besatzungsmacht verliebt sich in den geheimnisvollen Offizier Jeremy. Trotz verschiedener Nationalitäten und unterschiedlicher Herkunft entdecken die beiden Gemeinsamkeiten in Bezug auf Kriegsereignisse und die Frage nach dem Warum und der Schuld für Vernichtung und Tod. Sie vertrauen einander und erleben eine Zeit unter Argwohn und Beobachtung. Doch so plötzlich wie Jeremy in Anna's Leben aufgetaucht ist, so plötzlich ist er verschwunden. Zurück bleibt die schwangere Anna, die Jeremy nicht vergessen kann und fortan das uneheliche Kind eines britischen Soldaten groß ziehen muss.

Schnell und recht flüssig, in klarer, direkter Sprache, zum Teil philosophisch und poetisch, liest sich die gesamte Erzählung, wenn auch für meine Begriffe an manchen Stellen etwas hölzern, dennoch bildhaft, gefühlvoll und keinesfalls kitschig. Die Figurenzeichnung gelingt der Autorin in meinen Augen perfekt, ebenso wie die Situationsbeschreibung auf mehreren Zeitebenen. Alles ist vorstellbar und nachzuvollziehen. Der Ausgang der über Jahrzehnte andauernden Liebe lässt sich zwar erahnen und klärt nicht jede offene Frage, ist aber für mich stimmig und passend.

Ich bin sofort ins Buch eingetaucht und konnte es kaum aus der Hand legen. Der beachtliche Schreibstil, das Thema wie auch die Umsetzung und Vermittlung des Zeitgeists haben mir sehr gefallen. Wer sich für die Neuere Geschichte Deutschlands interessiert und zudem nicht alltägliche Romanfiguren mag, wird sich vielleicht genauso an dem „englischen Liebhaber“ erfreuen wie ich.

Noch ein Wort zu Buch-Cover und Text: Zum einen finde ich das Titelbild nicht besonders originell, Jeremy trägt übrigens einen Schnurrbart, zum anderen hat der Inhalt aus meiner Sicht wenig mit „Vom Winde verweht“ zu tun.