Tanz am Abgrund

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Wer kennt es nicht, das beeindruckende Gemälde von Otto Dix „ Bildnis der Tänzerin Anita Berber“? Ganz in Rot gehalten, sowohl Hintergrund als auch Kleid und Haare, sticht das weiß geschminkte Gesicht der Künstlerin mit schwarz umrahmten Augen und einem kirschroten Mond hervor. Alt und verlebt sieht sie auf dem Bild aus, von der Drogensucht gezeichnet. Doch so alt wie sie darauf wirkt, wurde Anita Berber nicht. Sie starb schon mit 29 Jahren an den Folgen ihrer Tuberkulose.
Vom Krankenbett aus im Berliner Bethanien-Krankenhaus lässt der Autor Steffen Schroeder seine sterbende Protagonistin auf ihr Leben zurückblicken.
Geboren wird Anita 1899 in Leipzig und aufgewachsen ist sie bei ihrer Großmutter, dem einzigen Menschen, „ von dem sie bedingungslose Liebe erfahren hatte“. Die Eltern trennen sich, als Anita drei Jahre alt ist, haben keine Zeit und wenig Interesse an ihrem Kind. Beide leben nur für ihre Kunst. Die Mutter ist eine angesagte Chansonsängerin in Berlin und der Vater feiert europaweit Erfolge als Violinvirtuose.
Anita zieht es auch früh zur Bühne, dem Tanz gilt ihre Leidenschaft. „ Aber tanzen, dachte sie, tanzen konnte man alles.“
Sie nimmt Unterricht an einer Tanzschule, findet aber bald zu ihrem eigenen Stil. Damit wird sie zum angesagten Star an den Bühnen von Berlin und Wien; ja sogar im Nahen Osten gibt sie Gastspiele.
Ihr Tanz ist eine wilde Mischung aus Akrobatik, Hemmungslosigkeit und Emotionen. Obwohl ihre Tänze immer erotisch aufgeladen sind, möchte sie nicht als reine „ Nackttänzerin“ wahrgenommen werden.
Anita Berber ist eine der ganz Großen im Berlin der Weimarer Zeit. Sie spielt in unzähligen Stummfilmen mit und wird zur Mode- Ikone für viele. Sie ist die Erste, die mit Smoking und Monokel auftritt und Männer wie Frauen liegen ihr zu Füßen.
Ihr exzessiver Lebensstil und ihr provokantes Verhalten sorgen für Aufsehen und jede Menge Skandale. Sie trinkt jeden Tag eine Flasche Cognac, später kommen härtere Drogen wie Morphium und Kokain dazu. Sie ist dreimal verheiratet und hat unzählige Affären mit Männer und Frauen.
Doch als sie im Krankenhaus ihrem Ende entgegensieht, finden nur wenige den Weg zu ihr.
Neben einer spannenden Künstlerbiographie ist „ Der letzte Tanz“ auch das Gesellschaftsportrait einer Zeit im Umbruch. Alte Moralvorstellungen werden über Bord geworfen, man lebt, als wäre jeder Tag der letzte.
Gleichzeitig bekommt man einen Einblick in die Künstlerszene der Weimarer Republik. So hat Anita Berber mit zahlreichen Künstlern ihrer Zeit zusammengearbeitet, hatte Kontakt zu ihnen. Manche sind uns auch heute noch ein Begriff, so wie Marlene Dietrich und Fritz Lang. Andere dagegen wie der jüdische Conferencier Fritz Grünbaum sind in Vergessenheit geraten.
( Kleine Randbemerkung, die zeigen soll, wie sich manchmal Querverbindungen zwischen verschiedenen Büchern ergeben: Beim Namen Charlotte Berend-Corinth hätte ich bis vor kurzem nur an den Maler Lovis Corinth gedacht. Dass diese Charlotte, mit der Anita eine kurze, aber heftige Affäre hatte, die Schwester der ehemaligen Bestsellerautorin Alice Berend war, weiß ich erst seit der Lektüre von „ Frau Hempels Tochter“. )
Steffen Schroeder wechselt zwischen den Tagen im Krankenhaus und Rückblicke in die Vergangenheit . Plastisch und voller Detailfreude lässt er uns am aufregenden und selbstzerstörerischen Leben von Anita Berber teilhaben. So bewahrt er eine schillernde Künstlerin, die wie kaum eine das Lebensgefühl einer Epoche vertritt, vor dem Vergessen.
Obwohl mich der neue Roman von Steffen Schroeder emotional weniger berührt hat als sein letzter, habe ich ihn doch gerne gelesen. So ging es in „ Planck oder Als das Licht seine Leichtigkeit verlor“ um den inneren Konflikt des Wissenschaftlers und Nobelpreisträgers Max Planck, der ein Treuebekenntnis zum Führer ablegen soll, während sein Sohn Erwin auf die Hinrichtung durch die Nazis wartet. Zwar ist Anita Berber auch eine tragische Figur, nicht nur durch ihr frühes Ende. Und vieles, was sie tat, war ein Schrei nach Liebe und Anerkennung.
Das Buchcover zitiert Otto Dix‘ Gemälde, allerdings blickt uns hier eine schöne junge Frau entgegen, ein Photo der 19jährigen Anita Berber.